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krfacts Spezialausgabe vom 21. April 2020 COVID-19: Insolvenzrecht

Im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) und den damit einhergehenden Einschränkungen für Unternehmen in verschiedenen Branchen ergeben sich zahlreiche neue und höchst spezifische rechtliche Fragestellungen zum Thema Insolvenz, deren Beantwortung die Fachwelt momentan vor schwierige Aufgaben stellt. Angesichts der komplexen und sich ständig verändernden Situation versuchen wir, verständliche Informationen zu diesen für viele Unternehmen existenziellen Themen zu geben. In dieser Spezialausgabe des krfacts wird zunächst die durch den Bundesrat am 16. April 2020 erlassene COVID-19- Verordnung Insolvenzrecht dargestellt.

I. Insolvenzrecht

Anlässlich der Bundesratssitzung vom 16. April 2020 stellte der Bundesrat die Verordnung über insolvenzrechtliche Massnahmen zur Bewältigung der Coronakrise vor, mit Hilfe welcher COVID-19- bedingte Konkurse und damit einhergehende Verluste von Arbeitsplätzen verhindert werden sollen.

Die Verordnung enthält zu diesem Zweck drei Hauptmassnahmen: Anpassung bei der Überschuldungsanzeige (1.), Anpassung des Nachlassvertragsrechts (2.) und die sogenannte COVID-19- Stundung (3.). Zudem wurde die COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung mit einer neuen Haftungsklausel versehen (4.) Die Verordnung tritt am 20. April 2020 in Kraft.

1. Anpassung bei der Überschuldungsanzeige

Nach Art. 725 Abs. 2 des Schweizerischen Obligationenrechts (OR) haben Gesellschaften die Pflicht, bei Bestehen einer begründeten Besorgnis einer Überschuldung eine Zwischenbilanz zu Fortführungs- und zu Veräusserungswerten zu erstellen und diese einem zugelassenen Revisor zur Prüfung vorzulegen. Sollte sich aus der Zwischenbilanz ergeben, dass eine Überschuldung vorliegt, so hat das Exekutivorgan der Unternehmung das Konkursgericht zu benachrichtigen, ausser es lägen Rangrücktritte von Gesellschaftsgläubigern im Umfang der festgestellten Überschuldung vor.

Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht hebt nun diese Anzeigepflicht an das Konkursgericht auf, wenn kumulativ zwei Voraussetzungen gegeben sind:

1. Die Gesellschaft darf am 31. Dezember 2019 nicht bereits überschuldet gewesen sein, und

2. es muss Aussicht bestehen, dass die Überschuldung bis am 31. Dezember 2020 behoben werden kann.

Die Pflicht zur Erstellung der Zwischenbilanz bei begründeter Besorgnis der Überschuldung besteht dabei weiterhin. Neu kann aber auf die Prüfung durch den Revisor verzichtet werden.

Der Entscheid des Unternehmens, aufgrund der zwei Voraussetzungen auf die Benachrichtigung des Gerichts zu verzichten, muss schriftlich begründet und dokumentiert werden, z.B. in einem Sitzungsprotokoll. Die fehlende Überschuldung am 31. Dezember 2019 kann durch die entsprechende Bilanz belegt werden. Die Aussicht auf Behebung der Überschuldung bis Ende 2020 kann durch die erstellte Zwischenbilanz zu Fortführungs- und zu Veräusserungswerten sowie durch Liquiditätspläne dokumentiert werden.

Von der Aufhebung der Anzeigepflicht bei Überschuldung können Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften und Stiftungen Gebrauch machen. Nicht möglich ist dies aber für Finanzdienstleister und Banken.

2. Anpassung des Nachlassvertragsrechts

Für ein Gesuch um Nachlassstundung, welches in Art. 293 ff. des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) geregelt ist, wird ab dem 20. April 2020 kein provisorischer Sanierungsplan (Art. 293 lit. a SchKG) mehr benötigt. Die maximale Dauer der provisorischen Nachlassstundung wird zudem von vier Monaten auf sechs Monate erhöht.

Der Bundesrat gibt den Schuldnern zudem mit Art. 5 der Verordnung die Möglichkeit, die Sanierung vorzubereiten, indem die Anwendbarkeit der in Art. 296b lit. a und b SchKG festgehaltenen Tatbestände ausgesetzt wird. Konkret bedeutet dies, dass während einer provisorischen Nachlassstundung auch dann kein Konkurs von Amtes wegen erfolgt, wenn der Konkurs zur Erhaltung des schuldnerischen Vermögens erforderlich wäre oder wenn offensichtlich keine Aussicht mehr auf Sanierung oder Bestätigung eines Nachlassvertrags besteht.

Die Anwendbarkeit von Art. 296b lit. a und b SchKG wird jedoch nur unter der Voraussetzung ausgesetzt, dass am 31. Dezember 2019 keine Überschuldung vorlag oder Rangrücktritte von Gesellschaftsgläubigern im vollen Umfang der Überschuldung vorliegen.

3. COVID-19-Stundung

Mit der sogenannten COVID-19-Stundung soll den durch das Virus finanziell betroffenen Schuldnern ein einfaches Verfahren zur Verfügung gestellt werden, mit welchem sie einen Aufschub der Zahlung von drei Monaten, bei einer Verlängerung auf Gesuch hin von höchstens sechs Monaten erreichen können. Davon können Einzelunternehmungen, Personengesellschaften oder juristische Personen profitieren.

Ausgeschlossen vom Anwendungsbereich sind jedoch Publikumsgesellschaften oder solche Gesellschaften, die im Jahr 2019 zwei der folgenden Grössen überschritten haben: eine Bilanzsumme von 20 Millionen CHF, einen Umsatzerlös von 40 Millionen CHF oder 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt. Von der COVID-19-Stundung sollen dementsprechend vorwiegend KMU’s profitieren können.

Vorausgesetzt ist wiederum, dass die Gesellschaft am 31. Dezember 2019 nicht überschuldet war oder dass Rangrücktritte von Gläubigern im vollen Umfang der Überschuldung vorliegen.

Das Gesuch der Stundung ist dem zuständigen Nachlassgericht einzureichen, welches unverzüglich darüber zu entscheiden hat. Mit dem Gesuch hat der Schuldner seine Vermögenslage glaubhaft darzutun. In der Regel dürfte die Einreichung der Bilanz und Erfolgsrechnung für das Jahr 2019 ausreichen. Das Gericht macht die Stundung öffentlich bekannt und der Schuldner wird angewiesen, sie den ihm bekannten Gläubigern sofort mitzuteilen.

Wichtig ist, dass die COVID-19-Stundung nur für Forderungen gegen den Schuldner gilt, die vor der Bewilligung der Stundung entstanden sind. Nach der Stundung entstandene Forderungen sind hingegen nicht erfasst. Ausgeschlossen ist die Stundung zudem für Lohn- und Alimentenforderungen, da diese für die Gläubiger als existenzsichernd angesehen werden.

Während der Stundung kann gegen den Schuldner für Forderungen, die von der Stundung erfasst sind, eine Betreibung weder eingeleitet noch fortgesetzt werden, und der Arrest und andere Sicherungsmassnahmen sind ausgeschlossen. Eine Betreibung auf Pfandverwertung ist für pfandgesicherte Forderungen aber weiterhin möglich, jedoch entfällt die Verwertung des Grundpfandes. Trotz der Stundung laufen die Zinsen für sämtliche Forderungen weiter. Schliesslich ist zu erwähnen, dass Verjährungs- und Verwirkungsfristen für diese Forderungen stillstehen.

Der Schuldner kann seine Geschäftstätigkeit fortsetzen, er darf aber während der Dauer der Stundung keine Rechtshandlungen vornehmen, durch die die berechtigten Interessen der Gläubiger beeinträchtigt oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer begünstigt werden.

So sind denn auch die Veräusserung oder Belastung von Teilen des Anlagevermögens sowie die Bestellung von Pfändern nur mit Zustimmung des Nachlassgerichts zulässig. Wenn der Schuldner nach der Stundung entstandene und deshalb von dieser nicht erfasste Forderungen bezahlt, während er der Stundung unterliegende Forderungen nicht bezahlt, stellt dies aber keine anfechtbare Handlung im Sinne von Art. 285 ff. SchKG (sog. paulianische Anfechtung) dar.

4. Persönliche Haftung der Organe beim Solidarbürgschaftskredit

Die COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht führt für den Solidarbürgschaftskredit die persönliche und solidarische Haftung der Organe und der mit der Geschäftsführung oder Liquidation befassten Personen ein. Dies für den Schaden, der durch die Verwendung des Kredits für einen unzulässigen Zweck gemäss Art. 6 der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung entsteht. Verboten sind insbesondere:

  • Die Ausschüttung von Dividenden, Tantiemen und Kapitaleinlagen;
  • die Gewährung oder die Refinanzierung von Privat- oder Aktionärsdarlehen;
  • die Amortisation von Gruppendarlehen;
  • die direkte oder indirekte Übertragung dieser Kredite an verbundene Gruppengesellschaften ausserhalb der Schweiz.

Im Übrigen können wir auf unsere krfacts-Spezialausgabe „Vertragsrecht und Kredit“ vom 09. April 2020 verweisen. Diese und weitere rechtliche Informationen aus anderen Rechtsgebieten rund um COVID-19 auf unserer Homepage  zum Download bereit.

II. Weitere Fragen

In der COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht sind noch diverse Detailregelungen enthalten. Deshalb und aufgrund der aktuellen Entwicklungen und der unterschiedlichen Ausgangslagen empfehlen wir, sich bei rechtlichen Fragen mit uns in Verbindung zu setzen.

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