KMU-Magazin Nr. 6, Juni 2025 Die Wirkungen der «grauen Scheidung»

Die Zahl der «grauen Scheidungen», also Scheidungen von Menschen ab 60 Jahren, ist deutlich gestiegen. Gerade im Alter entfaltet eine Scheidung weitreichende rechtliche und finanzielle Konsequenzen: von Ansprüchen aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und der Pensionskasse über Steuern bis hin zur Wohnsituation und erbrechtlichen Fragen.

Die Statistik ist eindeutig: Immer mehr Paare trennen sich nach mehreren Jahrzehnten Ehe. In der Schweiz etwa liegt der Anteil der Scheidungen der über 60-Jährigen an den jährlichen Schei­dungen bei über 15 Prozent. Die Gründe sind vielfältig: gestiegene Lebenserwartung, finanzielle Unabhängigkeit, gesellschaftliche Akzeptanz von Trennung im Alter – aber auch rein finanzielle Gründe können mittlerweile für die Scheidung im Alter ausschlaggebend sein.

Folgen der «grauen Scheidung»

Doch mit der Entscheidung zur Auflösung der Ehe beginnt ein komplexes juristisches Verfahren, das im Alter besonders tief greifen kann. Denn nun steht viel auf dem Spiel – insbesondere im Bereich der Altersvorsorge.

Auswirkungen auf die Alters- und Hinterlassenenversicherung (1. Säule)

Mit Vollendung des 65. Altersjahres entsteht in der Schweiz der Rentenanspruch für Leistungen aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Die sogenannten AHV-Renten werden jeweils individuell berechnet, basierend auf dem durchschnittlichen Jahreseinkommen während der Erwerbszeit und der Anzahl Beitragsjahre (Skala 44).

Bei verheirateten Paaren erfolgt im Scheidungsfall ein sogenanntes «Splitting» der AHV-Gutschriften: Die während der Ehe erzielten Einkommen beider Partner werden zur Berechnung des Rentenanspruchs je hälftig geteilt. Dieser Vorgang kann sowohl zu einer Erhöhung als auch zu einer Reduktion der individuellen Rente führen – je nachdem, wie die Einkommensverhältnisse während der Ehe verteilt waren.

Beispiel: Monika (61) und Albert (63) haben eine klassische Rollenverteilung gelebt. Albert hat mehrheitlich die finanziellen Mittel besorgt (im Durchschnitt jährlich rund CHF 100 000) während sich Monika mehrheitlich um die gemeinsamen Kinder und den Haushalt kümmerte. Monika hat zudem einen geringen Nebenverdienst (im Durchschnitt jährlich rund CHF 20 000) erwirtschaftet. Nun wollen sich die beiden Ehegatten scheiden lassen.

Das Ehegattensplitting sieht nun vor, dass die während der Ehe erzielten Einkommen beider Partner zusammengezählt werden und anschliessend zu gleichen Teilen verteilt werden. Im Fall von Monika und Albert ergibt sich ein gemein­sames durchschnittliches Jahreseinkommen von CHF 120 000 (CHF 100 000 + CHF 20 000). Nach dem Splitting wird jedem Partner rückwirkend für jedes Ehejahr ein fiktives Einkommen von CHF 60 000 angerechnet.

Für Monika bedeutet das einen erheblichen Vorteil. Statt wie bisher mit einem bescheidenen Einkommen von CHF 20 000 Franken pro Jahr in die Rentenberechnung zu gehen – was ihr eine monatliche AHV-Rente irgendwo im unteren Bereich eingebracht hätte – steigt ihr anrechenbares Einkommen deutlich. Albert hingegen muss mit einer tieferen Rente rechnen als ursprünglich erwartet. Denn durch das Splitting werden seine CHF 100 000 Jahreseinkommen auf CHF 60 000 reduziert – was seine voraussichtliche Rente etwas schmälert. Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch auch, dass das Splitting von den Ausgleichskassen zu dem Zeitpunkt ohnehin durchgeführt wird, wenn beide Ehegatten das Referenzalter er­reichen.

Im Rahmen der Berechnung des Rentenanspruchs aus der 1. Säule ist im Zusammenhang mit einer Scheidung auf einen weiteren Punkt hinzuweisen: Verheiratete Paare erhalten zusammen maximal 150 Prozent der AHV-Maximalrente. Bei Einzahlung sämtlicher Beitragsjahre also beispielsweise zusammen maximal CHF 3780 monatlich (Stand 2025). Lassen sich die Ehegatten jedoch scheiden, so wird für jede Person eine Einzelrente berechnet, die bei voller Einzahlung sämtlicher Beitragsjahre je bis zu CHF 2450 betragen kann. Zusammengerechnet erhalten die Parteien nun mehr (CHF 5040), als wenn sie verheiratet geblieben wären. Allerdings hängt die tatsächliche Auszahlung stark von den individuellen Beitragsverläufen ab. Aus diesem Grund gibt es mittlerweile auch Ehegatten, welche sich faktisch zwar nicht trennen, die aber aus den soeben dargestellten Überle­gungen eine «Scheinscheidung» durchführen, um individuell eine höhere Altersrente zu erzielen.

Pensionskasse (BVG) und Freizügigkeitsguthaben

Ein weiterer zentraler Aspekt bei Scheidungen ist die Aufteilung der beruflichen Vorsorge (2. Säule). Auch hier gilt im Grundsatz: Die während der Ehe geäufneten BVG-Guthaben werden zwischen den Ehegatten je hälftig geteilt, unab­hängig davon, wer sie erwirtschaftet hat. Die Ehegatten können zwar in einer Vereinbarung über die Scheidungsfolgen vom Grundsatz der hälftigen Teilung abweichen oder gar auf den Vorsorgeausgleich verzichten. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass für beide Ehe­gatten eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge gewährleistet bleibt.

Um dies kurz zu skizzieren, greifen wir wiederum auf unser Ausgangsbeispiel mit Monika (61) und Albert (63) zurück. Albert hat während der Ehe und bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens Pensionskassengelder in Höhe von CHF 340 000 geäufnet. Monika hingegen weist Pensionskassengelder in Höhe von CHF 45 000 aus. Anlässlich der Scheidung werden die beiden Anwartschaften zusammengerechnet, was einer Gesamtsumme von CHF 385 000 entspricht. Jeder Ehegatte hat nun Anspruch auf die Hälfte dieses Betrags, also CHF 192 500. Die Pensionskasse von Albert hat somit derjenigen von Monika einen Ausgleichsbetrag in Höhe von CHF 147 500 zu überweisen.

Ferner ist zu berücksichtigen, wenn die beiden Ehegatten für den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum einen Vorbezug aus der Pensionskasse getätigt haben, kann unter Umständen eine Rückzahlungspflicht des Vorbezugs an die betreffende Pensionskasse bestehen. Dies insbesondere dann, wenn die Liegenschaft anlässlich der Scheidung an einen Dritten veräussert wird. Auch dies ist vor der Durchführung der Scheidung zu bedenken und abzuklären.

Ein Spezialfall besteht ferner dann, wenn die Pensionierung und damit der Rentenanspruch bei einem oder bei beiden Ehegatten bereits eingetreten ist. Das Gesetz sieht vor, dass in diesem Fall das Gericht nach Ermessen über die Aufteilung entscheidet. Es beachtet dabei insbesondere die Dauer der Ehe und die Vorsorgebedürfnisse der Ehegatten. Anlässlich dieser Aufteilung steht dem Richter ein gros­ses Ermessen zu, innerhalb welchem er die geäufneten Pensionskassengelder zwischen den Parteien aufteilt.

Steuerliche Folgen

Scheidungen bringen auch steuerrecht­liche Veränderungen mit sich. In der Schweiz werden Ehepaare gemeinsam veranlagt – nach der faktischen Trennung beziehungsweise der Scheidung erfolgt eine getrennte Besteuerung.

Da auf die unterschiedlichen Lebenssi­tuationen auch unterschiedliche Steuer­tarife anwendbar sind, kann es sein, dass hier die momentan viel diskutierte und im Grundsatz verfassungswidrige Heiratsstrafe angewendet wird.

Die Heiratsstrafe ist insbesondere dann relevant, wenn beide Ehegatten berufs­tätig sind. Die steuerbaren Vermögen beider Ehegatten werden zusammengerechnet und besteuert. Dabei kann die Steuerprogression dazu führen, dass die Ehegatten gemeinsam mehr Steuern zu zahlen haben, als wenn sie einzeln besteuert würden. Aufgrund dessen gibt es Paare, welche auf die Heirat verzichten, um einer höheren Steuerlast zu entgehen. Natürlich ist dies auch bei Scheidungen im Alter relevant. Vielfach sind in einer späteren Lebensphase beide Ehegatten wieder voll erwerbstätig, da die Kinder zu diesem Zeitpunkt keiner Betreuung mehr bedürfen. Dies führt dazu, dass das steuerbare Einkommen steigt und die soeben beschriebene Heiratsstrafe Anwendung findet. Um der Heiratsstrafe zu entgehen, entschliessen sich gewisse Ehegatten zur Scheidung, um die indi­viduelle Besteuerung zu erwirken und die Steuerlast zu reduzieren.

Ferner sind allfällige Unterhaltszahlungen an den geschiedenen Ehegatten steuerrelevant, da diese vom Unterhaltsschuldner in der Regel vollumfänglich in Abzug gebracht werden können, während der Unterhaltsgläubiger sie als steuerbares Einkommen voll zu besteuern hat. Güterrechtliche Ausgleichszahlungen sind hingegen nicht abzugsfähig und müssen vom Gläubiger auch nicht als Einkommen versteuert werden. Hingegen sind diese Leistungen als Vermögen zu versteuern.

Abschliessend wird erwähnt, dass Ausgleichszahlungen aus der Teilung von Pensionskassengeldern ebenfalls besteuert werden, sofern das Geld ausbezahlt wird und nicht auf ein Konto einer an­deren Pensionskasse oder auf ein Frei­zügigkeitskonto übertragen wird.

Wohnen und Eigentum

Die gemeinsame Immobilie ist oft ein emotionales und finanzielles Zentrum des bisherigen Lebens. Im Scheidungsfall stellt sich die Frage: Wer bleibt? Wer übernimmt das Eigentum an der Liegenschaft? Oder wird gar verkauft? Gerade im Alter kann ein Umzug belastend sein. Viele möchten in der gewohnten Umgebung bleiben.

Doch ein Alleinverdienst oder eine Einzelrente reicht häufig nicht aus, um die von der Bank gewährte Hy­pothek zu tragen (sogenannte fehlende Trag­barkeit). Falls das Haus den Ehegatten gemeinsam gehört, wird es entweder verkauft oder einer der Ex-Partner übernimmt es – verbunden mit einer Auszahlung des Anteils an den anderen. Dies erfordert in vielen Fällen eine Umschuldung oder eine neue Hypothek, welche die Banken Personen über 60 Jahren nicht immer gewähren.

Die Ehegatten haben sich vor diesem Hintergrund gut zu überlegen, wie mit dem gemeinsamen Grundstück umgegangen werden soll.

Erwachsenenschutz- und erbrechtliche Aspekte

Schliesslich ergeben sich aus Scheidungen Veränderungen in Zusammenhang mit dem Erwachsenenschutz und dem Erbrecht. Im Falle der Urteilsunfähigkeit eines Ehegatten, beispielsweise aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit, ist der andere Ehegatte gesetzlich dazu berechtigt, den urteilsunfähigen Ehe­gatten in gewissen Angelegenheiten zu vertreten.

Das Vertretungsrecht umfasst insbesondere alle Rechtshandlungen, welche zur Deckung des Unterhaltsbedarfs üblicherweise erforderlich sind, die ordentliche Verwaltung des Einkommens und der übrigen Vermögenswerte sowie nötigenfalls die Befugnis, die Post zu öffnen und zu erledigen. Für Rechtshandlungen der ausserordentlichen Vermögensverwaltung (beispielsweise die Belastung oder Veräusserung eines Grundstücks) muss der noch urteilsfähige Ehegatte die Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde einholen. Sollten sich die Ehe­gatten zur Scheidung entschliessen, fällt diese Befugnis weg.

Dieser Umstand kann mit der vorgängigen Errichtung eines Vorsorgeauftrages entschärft werden. Darin kann die später urteilsunfähige Person einen Vertretungsberechtigten/eine Vertretungsberechtigte bezeichnen, welche insbesondere umfassende Rechte zur Vertretung sowohl in vermögensrechtlichen also auch medizinischen Angelegenheiten vertritt. Die Erstellung eines Vorsorgeauftrags wird im Übrigen nicht nur für alleinstehende beziehungsweise geschiedene Per­sonen empfohlen, sondern auch für noch Verheiratete, da damit auch die Vertretung bei Rechtshandlungen der aussergewöhnlichen Vermögensverwaltung an eine nahestehende Person gesichert werden kann. Für die Errichtung eines Vorsorgeauftrags empfehlen wir, sich von einer Fachperson vorgängig beraten zu lassen.

Im Zusammenhang mit erbrechtlichen Angelegenheiten weisen wir auf Folgendes hin: Während Ehepartner ein ge­setzliches Erbrecht und einen Pflichtteil haben, erlischt dieses spätestens nach Rechtskraft des Scheidungsurteils. Stirbt ein Ehegatte während eines laufenden Scheidungsverfahrens, so kann dies unter Umständen ebenfalls bereits zum ­Verlust von erbrechtlichen Pflichtteils­ansprüchen führen.

Nach der Scheidung ist es daher ratsam, bereits erstellte Testamente und Erbverträge überprüfen zu lassen und gegebenenfalls neu zu formulieren.

Fazit

Eine Scheidung im Alter ist kein einfacher Schritt – weder emotional noch finanziell. Die Wirkungen sind mannigfaltig und mit Kettenreaktionen verbunden. Nur wer die rechtlichen und finanziellen Konsequenzen kennt, kann gute und nachhaltige Entscheidungen treffen. Deshalb ist eine frühzeitige und kompetente Beratung durch Fachpersonen – Anwälte, Steuerexperten, Vorsorgeberater – unverzichtbar. So schmerzhaft der Prozess sein mag: Für viele Menschen bedeutet der Schnitt auch einen Neuanfang – mit neuer Freiheit, Selbstbestimmung und der Möglichkeit, das eigene Leben noch einmal neu zu gestalten.

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