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Clinicum 2-17, Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - Ist eine Prävention von Pattsituationen möglich? Arztpraxis als juristische Person

Seit rund 16 Jahren können Ärzte und Ärztinnen für die Tätigkeit im ambulanten Sektor als Organisationsform der Praxis auf juristische Personen, vor allem Aktiengesellschaften, zurückgreifen. Es dauerte eine kurze Zeit, bis auch die Kantone, welche für die Erteilung der Berufsausübungsbewilligung zuständig sind, diese Organisationsform unter gewissen Voraussetzungen akzeptierten. Im ambulanten Bereich organisieren sich Ärzte und Ärztinnen immer häufiger gemeinschaftlich. Zudem bieten juristische Personen Möglichkeiten, die Steuerlast der Ärzte und Ärztinnen mittels Thesaurierung bzw. durch Bezüge als Lohn oder als Dividende zu optimieren.

Es ist daher naheliegend, sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Zusammenschluss in Form einer Aktiengesellschaft erfolgen soll. Vorab interessieren Fragen im Bereich Steuern, Sozialversicherungen, 2. Säule, Mehrwertsteuer und Haftung. Bei einer Gegenüberstellung der Vor- und Nachteile werden die Vorteile häufig überwiegen. Gleich wichtig sind Fragen rund um das Zusammenwirken der Ärzte und Ärztinnen als Aktionäre. Die Aktiengesellschaft ist kapitalistisch organisiert. Dies äussert sich darin, dass sich die Pflicht des Aktionärs ausschliesslich auf die Liberierungspflicht beschränkt; ist die Liberierung der Aktien zu 100 % erfolgt, bestehen keine weiteren Pflichten mehr. Es versteht sich von selbst, dass dieses vom Gesetz vorgesehene dürftige Pflichtenheft ergänzt werden sollte

Aktionärsbindungsvertrag

Mit einem Aktionärbindungsvertrag (ABV) können einerseits das Pflichtenheft und andererseits der Rechtekatalog als Aktionär und Eigentümer der Gesellschaft erweitert werden, zum einen mit Pflichten und Rechten gegenüber der Gesellschaft selbst, zum anderen gegenüber den Mitaktionären. Der ABV entfaltet aber nur unter den Vertragsparteien eine Wirkung. Denkbar sind somit ABV, welche sämtliche oder nur gewisse Aktionäre miteinander verbinden.

Je nach Zielsetzung des ABV fällt dieser kürzer oder umfassender aus. Erfahrungsgemäss istein ABV eher kürzer, wenn ein Hauptaktionär vorhanden ist. Dieser will normalerweise seine Handlungsfreiheit absichern, trägt er doch das grösste finanzielle Risiko. Die Regelungsdichte des ABV kann sich auf ganz wenige, zentrale Punkte beschränken. Denn wer zahlt, befiehlt. In Aktionärskreisen, welche keinen Hauptaktionär haben, sondern mehrere oder sogar nur zwei gleichberechtigte Partner vorhanden sind, sollte der ABV tendenziell umfassender ausfallen.

Typische Vertragsinhalte

In einem umfangreicheren ABV sind typischerweise die folgenden Bereiche geregelt:

  • Vertragsgeltung und Stimmbindung
  • Vorhandrecht
  • Vorkaufsrechte
  • Kaufrechte
  • Mitverkaufspflicht und –recht
  • Konfliktlösungsklauseln
  • Periodische Unternehmensbewertung und Bestimmung des Aktienpreises
  • Einsitz im Verwaltungsrat, der Geschäftsleitung und Einsichtsrechte der übrigen Aktionäre
  • Finanzierung der Gesellschaft Dividendenpolitik
  • Leistungsverrechnung gegenüber Nahestehenden
  • Rechtsnachfolge
  • Hinterlegung der Aktien
  • Konventionalstrafen
  • Vertragsdauer und Kündigungsmöglichkeiten
  • Abtretung von Rechten, Verpfändung der Aktien
  • Weitere Bestimmungen (salvatorische Klausel, anwendbares Recht und Gerichtsstand/Schiedsgericht)

Die Pattsituationen …

Denken Sie an zwei Ärzte bzw. Ärztinnen, die als gleichberechtigte Partner und Aktionäre gemeinsam eine Praxis führen werden. Jeder bzw. jedehält 50 % der Stimm- und Kapitalrechte an der Gesellschaft. Die Gesellschaft hat 100 Namenaktien zu 1000 Franken nominal. Es ist voraussehbar, dass beide im Verwaltungsrat Einsitz nehmen werden, aber nur einer bzw. eine kann das Amt des Vorsitzenden im Verwaltungsrat (Präsident bzw. Präsidentin) bekleiden.

Gehen wir weiter davon aus, dass keine vom Gesetz abweichende Regelung in den Statuten vorgesehen ist und die beiden Partner keinen ABV abgeschlossen haben. Es versteht sich von selbst, dass beide an der Generalversammlung oder an der Verwaltungsratssitzung teilnehmen und dabei ihre Stimmrechte ausüben werden und es ist denkbar, dass sie das immer im gegenteiligen Sinne tun.

… in der Generalversammlung

Die Generalversammlung (GV) fasst nach Art. 703 OR ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen, soweit das Gesetz oder die Statuten es nicht anders vorsehen, mit der absoluten Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen. Das qualifizierte Mehr (mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und die absolute Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte) ist auf wichtige Beschlüsse beschränkt. Eine Aufzählung derselben ist in Art. 704 OR geregelt. In unserem vorgenannten Fall gelten Beschlüsse, welche nicht im Bereich der wichtigen Beschlüsse gefasst werden, als angenommen bzw. Wahlen als erfolgt, wenn mindestens 51 Stimmen zu Gunsten des Traktandums abgegeben werden. Kann dieses Mehr – wie in unserem Fall – nicht erreicht werden, gilt das entsprechende Traktandum als abgelehnt bzw. die Wahl ist nicht erfolgt. Solche Pattsituationen können zu schwerwiegenden Mängeln bei der Gesellschaft führen, sei es, dass die Jahresrechnung nicht abgenommen wird, keine Dividenden fliessen oder die Mitglieder des Verwaltungsrates nach Ablauf ihrer dreijährigen Amtsdauer (vgl. Art. 710 OR) nicht wieder gewählt werden können. Diesem Organisationsmangel haftet das Risiko an, dass der Richter zwar mit Zurückhaltung, aber immerhin als ultima ratio, die Liquidation der Gesellschaft anordnen kann.

… im Verwaltungsrat

Der Verwaltungsrat (VR) fasst nach Art. 713 OR seine Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei der Vorsitzende den Stichentscheid hat, sofern die Statuten nichts anderes vorsehen. Solange die Statuten den Stichentscheid des Vorsitzenden nicht ausdrücklich wegbedingen, beherrscht der Vorsitzende in unserem Fall während seiner Amtsdauer den Verwaltungsrat. Er hat faktisch die Möglichkeit, jeden Entscheid nach seinem Gutdünken zu beeinflussen. Diese gesetzliche Regelung ist natürlich bestens bekannt, weshalb im Rahmender Statutenredaktion bei einer von durch zwei gleichberechtigte Partner beherrschten Gesellschaft dieser Stichentscheid durch die statutarische Regelung aufgehoben wird. Dadurch wird zwar die Beherrschung des Verwaltungsrates durch den Präsidenten verhindert, es blockiert aber auf der anderen Seite die Möglichkeit, einen Entscheid zu fassen.

Lösungsansätze bei Dead-Locks

Bereits das philosophische Gleichnis von Buridans Esel (Ein Esel steht zwischen zwei gleich grossen und gleich weit entfernten Heuhaufen. Er verhungert schliesslich, weil er sich nicht entscheiden kann, welchen er zuerst fressen soll.) lässt diesen verhungern. Es gibt kein Allerheilmittel, im schlimmsten Fall und als ultima ratio ist die Gesellschaft durch richterlichen Beschluss zu liquidieren. Dieser Weg mag für beide zumindest gleich unbefriedigend sein, wird aber im Ergebnis auf beiden Seiten hauptsächlich Schäden zurücklassen. Insofern rechtfertigt es sich, nach Konfliktlösungsmechanismenzu suchen, die gesamthaft weniger Schaden anrichten.

Neutraler Präsident mit Stichentscheid im VR und in der GV

In unserem Fall könnte ein unabhängiger und von beiden Aktionären akzeptierter Dritter in den Verwaltungsrat gewählt werden. Dieser übernimmt sodann den Vorsitz im Verwaltungsrat. In Pattsituationen trägt er die Verantwortung und kann einem Traktandum zum Durchbruch verhelfen. Da eine solche Situation für den unabhängigen Dritten nicht gerade angenehm ist, sehen ABV häufig vor, dass vor einem solchen Entscheid zwingend und allenfalls unter Beizug eines Fachmanns der in Frage stehende Sachverhalt erneut beleuchtet wird und der Fachmann eine Empfehlung abgibt, wie am besten entschieden werden sollte. Kann auch trotzdieser Empfehlung die Pattsituation nicht gelöst werden, hat der Vorsitzende von seinem Recht des Stichentscheids Gebrauch zu machen.

Bei Generalversammlungsbeschlüssen ist ähnlich vorzugehen. Es ist in der Lehre umstritten, ob eine statutarische Regelung zulässig ist, wonach dem Vorsitzenden in der Generalversammlung in Pattsituationen ein Stichentscheid zugewiesen werden kann. Eine solche Regelung wird als Missachtung des in Art. 703 OR verankerten Mehrheitsprinzips angesehen. Daher empfiehlt es sich, diesem unabhängigen Dritten zwingend von jedem Aktionär mindestens eine Aktie treuhänderisch und vom Aktionär weisungsungebunden zu übertragen. In Pattsituationen übt er das mit den Aktien verbundene Stimmrecht aus und erhält damit zumindest mittelbar einen Stichentscheid. Auch für derartige Fälle kann vor endgültiger Ausübung des Stimmrechts durch den Dritten ein Vermittlungsverfahren unter Beizug eines Fachmanns dazwischen geschaltet werden.

Entflechtung mittels Versteigerungsklauseln

Schliesslich kann es in Pattsituationen Sinn machen, sich endgültig zutrennen. Doch wer soll die angestammte Praxis und die mit dieser Praxis verbundene Infrastruktur und allenfalls gar Kunden verlassen? Ist es sinnvoller, die Praxis zwingend einem Dritten zu verkaufen? Oder dürfen beide an der gleichen Adresse keine Praxis mehr betreiben? Die in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen sind sehr individuell und müssen für jeden Einzelfall erarbeitet werden. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass zu Beginn einer Zusammenarbeit unterlassene Diskussionen über dieTrennung tendenziell eher vor einem Scherbenhaufen enden. Gerade deshalb sind solche Diskussionen zu Beginn der Zusammenarbeit äusserst wertvoll.

Die zur Verfügung stehenden Mechanismen können abenteuerlich sein, die Klauseln tragen daher entsprechende Bezeichnungen.

Shoot-out

Jede Partei kann der anderen Partei ein Angebot zum Kauf der Aktien abgeben. Sofern die andere Partei dieses Angebot nicht annehmen will, muss sie der Partei ebenfalls ein Angebot für den Kauf der Aktien abgeben,jedoch zu einem höheren Preis. Will die erste Partei dieses höhere Angebotnicht annehmen, muss sie erneut ein höheres Angebot abgeben. Um eine Endlosschlaufe dieser Angebote zu verhindern, kann eine maximal definierte Anzahl Angebote, die prozentuale Mindesterhöhung des Angebots oder die Versteigerung vorgesehen werden.

Russisches Roulette

Jede Partei hat unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, der anderen Partei ein Angebot für die Aktien zu unterbreiten. Die Voraussetzungen können von an einem nicht überbrückbaren Zerwürfnis bis hinzu freiem Ermessen einer Vertragspartei reichen. Die andere (!) Partei erhält nach Ausübung des Angebots sodann das Wahlrecht, die eigenen Aktien zum angebotenen Preis zu verkaufen bzw. die Aktien der anderen Partei zu diesem Preis zu übernehmen. Es ist somit im Zeitpunkt der Abgabe des ursprünglichen Angebots offen, wer nach Abschluss dieses Verfahrens 100 % der Aktien haben wird.

Fazit

Die Zusammenarbeit von Ärzten bzw. Ärztinnen im Rahmen einer juristischen Person, insbesondere einer Aktiengesellschaft, bringt häufig viele Vorteile mit sich. Um den Fortbestand der Praxis oder der eigenen Tätigkeit nach einem Auskauf durch einen Mitaktionär sicherzustellen, ist der Abschluss eines Aktionärbindungsvertrages auf jeden Fall empfohlen. Die meisten Pattsituationen lassen sich besser lösen, wenn ergänzend zur gesetzlichen Regelung ein ABV abgeschlossen wird und klare Regelungen bestehen, wie in Pattsituationen vorgegangen werden soll. Bei der Unmöglichkeit einer weiteren Zusammenarbeit können Versteigerungsklauseln in einen ABV aufgenommen werden. Auch wenn diese nicht über jeden Zweifel erhaben sind, erlauben diese eine Entflechtung mit kleinerem Schaden als die durch das Gesetz vorgesehene Liquidation der Gesellschaft als ultima ratio.

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Beitrag veröffentlicht am
26. April 2017

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