krfacts Spezialausgabe 11. Mai 2020 COVID-19: Versammlungen von Gesellschaften
Spezialausgabe Versammlungen von Gesellschaften inkl. Stockwerkeigentümerversammlung: Im Zusammenhang mit dem Coronavirus (COVID-19) und den damit einhergehenden Gegebenheiten ergeben sich neue rechtliche Fragestellungen, deren Beantwortung die Fachwelt momentan vor schwierige Aufgaben stellt. Angesichts der höchst komplexen Situation versuchen wir, möglichst einfache Informationen zu den rechtlichen Themen zu geben. Diese Spezialausgabe des krfacts informiert über die momentanen Vorschriften zu Versammlungen von Gesellschaften (Kap. I.) und Stockwerkeigentümerversammlungen (Kap. II.).
I. Versammlungen von Gesellschaften
1. Ausgangslage
Im Zusammenhang mit der momentan herrschenden ausserordentlichen Lage hat der Bundesrat mehrere Notverordnungen erlassen. Seit dem 13. März 2020 ist die Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (nachfolgend COVID-19-Verordnung 2) in Kraft. Diese Verordnung beinhaltet ein Verbot der Durchführung von öffentlichen oder privaten Veranstaltungen und Vereinsaktivitäten. Darunter fallen auch Versammlungen von Gesellschaften, namentlich Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Genossenschaften und Vereinen, anlässlich deren Aktionäre Gesellschafter oder Mitglieder ihre Rechte ausüben können.
Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 gewährt aus diesem Grund die Möglichkeit, auf Anordnung des Veranstalters diese Rechte ausschliesslich auf schriftlichem Weg, in elektronischer Form oder durch einen von dem Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter auszuüben. Damit von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, muss die Anordnung des Veranstalters spätestens vier Tage vor der Veranstaltung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden. Die Anwendung dieser Norm lässt einige praktische Fragen aufkommen. Nachfolgend werden daher die wichtigsten praktischen Hinweise im Umgang mit der genannten Norm zusammengefasst. Vorab der Wortlaut von Art. 6b COVID-19-Verordnung 2:
Art. 6b Versammlung von Gesellschaften
1 Bei Versammlungen von Gesellschaften kann der Veranstalter ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Rechte ausschliesslich ausüben können:
a. auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form; oder
b. durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter.
2 Der Veranstalter entscheidet während der Frist gemäss Artikel 12 Absatz 8*. Die Anordnung muss spätestens vier Tage vor der Veranstaltung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden.
* Die Frist endet aktuell am 30. Juni 2020 (Änderung vom 29. April 2020).
2. Wichtige Hinweise zur Anwendung von Art. 6b COVID-19-Verordnung 2
2.1. Ankündigung der Durchführung der GV
Wichtig zu wissen ist zunächst, dass die gesetzlichen bzw. statutarisch festgelegten Bestimmungen zur Einberufung der Versammlung und Bekanntmachung der Traktanden durch die Anwendung von Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 nicht aufgehoben wurden. Diese haben weiterhin Gültigkeit. Es sind also weiterhin die statutarischen und allenfalls gesetzlichen Einberufungsfristen und -formalitäten einzuhalten. Lediglich die Anordnung des Veranstalters, dass anlässlich der abgehaltenen Versammlung die Rechte in den Formen von Art. 6b Abs. 1 lit. a und b der Verordnung ausgeübt werden können, hat spätestens vier Tage vor der Veranstaltung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht zu werden.
Als schriftliche Mitteilung gilt dabei eine briefliche Information. Massgeblich für die Fristberechnung ist dabei das Datum des Poststempels, an welchem die Anordnungen den Gesellschaftern mitgeteilt wurden. Als elektronische Veröffentlichung gilt beispielsweise die prominente, augenfällige Information auf der Internetseite des Veranstalters.
Wir empfehlen die Mitteilung sowohl schriftlich als auch elektronisch vorzunehmen.Die Anordnung des Veranstalters muss bis zum 30. Juni 2020 vorgenommen werden (die Frist wurde am 29. April 2020 vom Bundesrat auf dieses Datum hin verlängert). Die Versammlung selbst kann dabei auch nach dem 30. Juni 2020 abgehalten werden.
2.2. Ausübung und Wahrung der Mitgliedschaftsrechte
a. Ausübung auf schriftlichem Weg
Ausübung auf schriftlichem Weg meint die Ausübung per Briefpost. Eine Stimmabgabe per E-Mail- Nachricht ist ausgeschlossen.
b. Ausübung in elektronischer Form
Die Ausübung in elektronischer Form qualifiziert sich als Versammlung per Telefon- oder Videokonferenz. Die Identität der Teilnehmenden muss jederzeit zweifellos festgestellt werden können.
c. Ausübung durch einen Stimmrechtsvertreter
Die Ausübung der Rechte kann gegebenenfalls durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter angeordnet werden.
Hinweis: Bei Vereinen und auch Stockwerkeigentümergemeinschaften ist eine Vertretung des Mitglieds bzw. des Stockwerkeigentümers grundsätzlich nur möglich, wenn die Statuten dies vorsehen. Deshalb ist umstritten, ob Vereine oder Stockwerkeigentümergemeinschaften ohne statutarische Grundlage eine Vertretung durch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter anordnen können. Sicherheitshalber wird deshalb empfohlen, für solche Versammlungen die schriftliche oder elektronische Form zu verwenden.
d. Wahrung der Mitwirkungsrechte
Aktionäre, Gesellschafter oder Mitglieder haben grundsätzlich anlässlich der Versammlung das Recht, Fragen zu stellen, ihre Argumente zu präsentieren und Anträge zu den Traktanden zu stellen. Um die Rechte der Aktionäre usw. vollumfänglich wahren zu können, bestünde die Möglichkeit, die Versammlung per Video- bzw. Telefonkonferenz durchzuführen. Wo dies nicht möglich ist, sollten den Aktionären usw. die massgebenden Informationen umfassend bereitgestellt werden, damit diese ihre Rechte gesetzeskonform ausüben können. Insbesondere falls strittige Traktanden bevorstehen, könnte auch eine Frist zur schriftlichen Stellung von Fragen und zur Einbringung von Anregungen gewährt werden.
2.3. Durchführung der Versammlung
Die Versammlung kann zwar nicht mit allen Aktionären, Gesellschaftern oder Mitgliedern physisch durchgeführt werden, nichtsdestotrotz hat eine physische „Restversammlung“ stattzufinden, anlässlich welcher zumindest ein Vorsitzender (z.B. Mitglied des Verwaltungsrats oder Vorstandes) und ein Protokollführer bzw. Stimmenzähler anwesend sein muss. Allenfalls haben zudem ein unabhängiger Stimmrechtsvertreter, ein Revisionsstellenvertreter und bei beurkundungspflichtigen Beschlüssen ein Notar anwesend zu sein.
Die Protokollführung ist auch bei einer Versammlung im Sinne von Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 unerlässlich. Insbesondere die Beschlussfassungen sind gesetzeskonform zu protokollieren.
2.4. Abstimmungsergebnisse und Beschlüsse
Anlässlich der Versammlung getätigte Abstimmungen und Beschlüsse sind jedem einzelnen Aktionär, Gesellschafter oder Mitglied gesetzeskonform zur Kenntnis zu bringen, sodass diese die Möglichkeit haben, den Beschluss anzufechten.
II. Stockwerkeigentümerversammlung
Stockwerkeigentümergemeinschaften gelten zwar nicht als Gesellschaften im Rechtssinne, Art. 712m Abs. 2 ZGB verweist jedoch für die Versammlung der Stockwerkeigentümer auf die Bestimmungen des Vereinsrechts. Entsprechend findet auch Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 auf diese Versammlung Anwendung.
Die Verwaltung der Stockwerkeigentümergemeinschaft kann deshalb anordnen, dass die Stockwerkeigentümer ihr Stimmrecht wie oben beschrieben (Kap. I., Ziff. 2.2) auszuüben haben; wie in Ziff. 2.2 lit. c. ausgeführt sollte aufgrund der rechtlichen Unsicherheit kein Stimmrechtsvertreter bestimmt werden, wenn das Reglement bzw. die Statuten keine Vertretung des Stockwerkeigentümers vorsehen.
Eine gestützt auf Art. 6b COVID-19-Verordnung 2 angeordnete schriftliche Abstimmung auf dem Zirkularweg setzt nicht per se Einstimmigkeit voraus, sondern folgt den reglementarischen und gesetzlichen Quoren betreffend das abzustimmende Geschäft.
Für weitere Ausführungen zum Stockwerkeigentum verweisen wir auf unsere krfacts Spezialausgabe „Immobilienrecht“, welche hier zum Download bereitsteht.
III. Weitere Fragen
Aufgrund der aktuellen Entwicklungen und der unterschiedlichen Ausgangslagen empfehlen wir, sich bei rechtlichen Fragen mit uns in Verbindung zu setzen.