KMU-Magazin Nr. 11/12, November/Dezember 2021 Zur Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes
Per 1. Januar 2022 tritt das revidierte Versicherungsvertragsgesetz (nVVG) in Kraft. Die Gesetzesbestimmungen betreffen private Versicherungen wie Haftpflicht-, Fahrzeug-, Lebens- oder medizinische Zusatzversicherungen. Der Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Bestimmungen der Teilrevision.
An seiner Sitzung vom 11. November 2020 hat der Bundesrat beschlossen, das revidierte Versicherungsvertragsgesetz (nVVG) per 1. Januar 2022 in Kraft zu setzen. Obwohl viele Personen in der Schweiz neben ihren Sozialversicherungen regelmässig auch private Versicherungen abschliessen, weiss die Mehrheit nur oberflächlich über die im VVG enthaltenen Rechte und Pflichten Bescheid.
Das bevorstehende Inkrafttreten der Teilrevision ist daher eine gute Möglichkeit, um sich vertiefter mit einzelnen Gesetzesbestimmungen auseinanderzusetzen.
Geltungsbereich und Grundzüge der Revision
Das VVG regelt die Versicherungsbeziehung zwischen Kundinnen/Kunden und Versicherungen. Das Gesetz bezieht sich jedoch nicht auf Sozialversicherungen wie beispielsweise das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG) oder das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (obligatorische Krankenpflegeversicherung; KVG). Vielmehr beschränkt sich die Anwendbarkeit des VVG auf private Versicherungen wie Haftpflichtversicherungen, Fahrzeugversicherungen, Lebensversicherungen usw.
Ziel der VVG-Revision ist es, die Rechte der Versicherten zu stärken und das Versicherungsgesetz dem digitalen Zeitalter anzupassen.
Widerrufsrecht des Versicherten
Der Versicherte kann künftig einen abgeschlossenen Versicherungsvertrag innerhalb einer Bedenkzeit von 14 Tagen widerrufen (Art. 2a f. nVVG). Das Versicherungsunternehmen hat den Versicherten vor Abschluss des Vertrages über dieses Recht sowie über Form und Frist der Widerrufsmöglichkeit zu informieren.
Der Versicherte hat den Vertrag schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zu widerrufen. Das bedeutet, dass der Widerruf auch per E-Mail erfolgen kann. Die Frist von 14 Tagen ist aber zwingend einzuhalten. Sie berechnet sich nach dem Obligationenrecht (OR) und beginnt, sobald der Versicherte den Vertrag beantragt oder angenommen hat. Der erste Tag der Frist ist der Tag, der auf den Antrag bzw. die Annahme folgt. Die Frist ist dann eingehalten, wenn der Versicherte am letzten Tag der Frist seinen Widerruf dem Versicherungsunternehmen direkt mitteilt oder seine Widerrufserklärung der Post übergibt.
Beispiel: Geschieht die Annahme der Vertragsofferte am Mittwoch, 5. Januar 2022, so beginnt die Frist am Donnerstag, 6. Januar 2022 (erster Tag der Frist), zu laufen. Nach Ablauf von 14 Tagen endet die Frist, somit am Mittwoch, 19. Januar 2022 (letzter Tag der Frist). Fällt der letzte Tag der Frist auf einen Sonntag, so gilt als letzter Tag der Frist der nächstfolgende Werktag.
Zusätzliche Informationspflichten der Versicherungsunternehmen
Die bereits bestehenden Informationspflichten der Versicherungsunternehmen, denen die Unternehmen vor Abschluss des Vertrags nachkommen müssen, werden mit der bevorstehenden Revision erweitert bzw. ergänzt. Die Informationspflichten sind in Art. 3 VVG geregelt.
Das Versicherungsunternehmen muss künftig zusätzlich darüber informieren, ob es sich um eine Summen- oder um eine Schadenversicherung handelt. Bei einer Summenversicherung ist das Versicherungsunternehmen dazu verpflichtet, im Versicherungsfall exakt die vereinbarte Leistung zu erbringen – beispielsweise CHF 100 000 im Invaliditätsfall –, während bei der Schadenversicherung «nur» der entstandene Schaden gedeckt wird.
Hinzu kommen Informationspflichten im Zusammenhang mit dem vorerwähnten Widerrufsrecht sowie einer allfälligen Frist für das Einreichen der Schadenanzeige.
Beendigung des Vertragsverhältnisses (Kündigungen)
Neu können Versicherte ihr Vertragsverhältnis in jeder Form kündigen, die den Nachweis durch Text ermöglicht (Art. 35a Abs. 1 nVVG). Konkret darf eine Kündigung neu insbesondere per E-Mail erfolgen. Dies bedeutet auch, dass die Kündigung durch den Versicherten nicht mehr eigenhändig unterzeichnet werden muss.
Was die Kündigungsfrist anbelangt, sieht das VVG ein ordentliches Kündigungsrecht der versicherten Person bei Verträgen mit einer Laufzeit von mehr als drei Jahren vor (Art. 35a nVVG). Ausgenommen davon sind Lebensversicherungen. Die Kündigung kann auf das Ende des dritten oder jedes darauffolgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten erfolgen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass diese Regelung auch für Verträge gilt, die vor dem 1. Januar 2022 abgeschlossen wurden.
Weiter bestimmt das VVG hinsichtlich der Beendigung des Versicherungsvertrags neu, dass die ordentliche Kündigung und die Kündigung aufgrund eines Leistungsbezugs des Versicherten (Kündigungsrecht im Schadenfall) bei Zusatzversicherungen zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur noch dem Versicherten zustehen (Art. 35a Abs. 4 nVVG). Krankenversicherungen können folglich dem Versicherten den Vertrag der Zusatzversicherung weder ordentlich noch aufgrund eines Leistungsbezuges kündigen. Eine Ausnahme davon besteht in der kollektiven Taggeldversicherung.
Schliesslich wird dem Versicherten das Recht eingeräumt, bei der Entdeckung einer Mehrfachversicherung innert vier Wochen seit deren Entdeckung den zuletzt geschlossenen Vertrag zu kündigen (Art. 46b nVVG). Eine Mehrfachversicherung liegt dann vor, wenn dasselbe Interesse gegen dieselbe Gefahr und für dieselbe Zeit bei mehr als einem Versicherungsunternehmen versichert wird, sodass die Versicherungssumme zusammen den Versicherungswert übersteigt.
Direktes Forderungsrecht in der Haftpflichtversicherung
Der geschädigte Dritte hat gemäss Art. 60 nVVG ein direktes Forderungsrecht gegen das Versicherungsunternehmen. Erleidet ein Dritter einen Schaden aufgrund des Verhaltens des Versicherten, so kann der Dritte seine Ansprüche direkt bei der Haftpflichtversicherung des Schädigers geltend machen, obwohl zwischen dem Dritten und der Versicherung kein Vertragsverhältnis besteht.
Regressrecht des Versicherungsunternehmens gegenüber Dritten
Der heute noch in Kraft stehende Art. 72 VVG bestimmt, dass der Ersatzanspruch, der dem Versicherten gegenüber Dritten aus unerlaubter Handlung zusteht, auf das Versicherungsunternehmen übergeht (sogenannte Subrogation). Mit anderen Worten hat das Versicherungsunternehmen das Recht, den Schaden, welchen das Unternehmen seinem Versicherten aufgrund des Vertrags ersetzte, gegenüber einem Dritten geltend zu machen, sofern der Schaden aus einer unerlaubten Handlung herrührt.
Lange war unklar, ob diese Bestimmung nur auf unerlaubte Handlungen im Sinne von Art. 41 OR anwendbar ist oder ob damit auch Vertragsverletzungen (Art. 97 OR) und andere Kausalhaftungen gemeint sind. Mit der Neuschaffung von Art. 95c nVVG wird diese Diskussion hinfällig. Das Rückgriffsrechts des Versicherungsunternehmens wird neu nicht mehr auf unerlaubte Handlungen beschränkt. Das Versicherungsunternehmen tritt gemäss Art. 95c nVVG nämlich im Umfang und zum Zeitpunkt seiner Leistung für die von ihm gedeckten gleichartigen Schadensposten in die Rechte des Versicherten ein. Das Versicherungsunternehmen kann anschliessend gegenüber dem schadensverursachenden Dritten regressieren, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Ausgeschlossen ist das Regressrecht des Versicherers, wenn der Schaden durch eine Person fahrlässig herbeigeführt wurde, die in einer engen Beziehung zum Versicherten steht. Beispielsweise, wenn die Personen in einer häuslichen Gemeinschaft leben, in einem Arbeitsverhältnis zueinander stehen oder die Personen ermächtigt sind, die versicherten Sachen zu nutzen. Damit sollen bestehende Beziehungen nicht durch den Versicherungsregress belastet werden.
Fazit
Das neue Versicherungsvertragsgesetz sieht einige Neuerungen vor, welche die Stellung der Versicherten verbessert und den Kontakt sowie die Kommunikation zwischen dem Versicherungsunternehmen und seiner Klientschaft vereinfacht.
Das Versicherungsgeschäft bleibt jedoch für den Laien oftmals auch weiterhin ein rotes Tuch. Allein die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Versicherer, die teilweise in einer für Laien ungewohnten Sprache formuliert und auch eher lang sein können, werden wohl die wenigsten Versicherten zu Beginn des Vertragsverhältnisses aufmerksam studieren. Die in Art. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes festgehaltenen Informationspflichten dürften in der Praxis an diesem Umstand kaum etwas ändern.
Bei konkreten versicherungsrechtlichen Fragen sollte daher vorzugsweise eine unabhängige Stelle kontaktiert werden, die eine umfassende Beratung garantieren kann.
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