KMU-Magazin Nr. 10, Oktober 2021 Scheidungsrechtliche Behandlung von Vorsorgegeldern
Eine Scheidung ist nicht nur ein starker Lebenseinschnitt, sondern kann auch zu komplexen juristischen Fragestellungen führen. Was etwa passiert mit den während der Ehe angesparten Vermögenswerten und welche Auswirkungen hat die Trennung auf die Altersvorsorge? Der Beitrag informiert über mögliche Folgen und Stolpersteine.
Im Falle der Scheidung streiten sich die Ehegatten oft nicht nur um die während der Ehe angesparten Vermögenswerte oder die Kinderbetreuung, sondern auch um die während der Ehe angehäuften Vorsorgegelder der zweiten und dritten Säule. Eine Teilung dieser Gelder ist dann umso wichtiger, wenn die Ehegatten nicht im gleichen Umfang erwerbstätig waren und daher nicht im selben Masse für das Alter vorsorgen konnten. Der vorliegende Artikel soll über die Scheidungsfolgen im Zusammenhang mit Vorsorgegeldern informieren und auf einzelne Gefahren hinweisen, die zu bösen Überraschungen führen könnten.
Das Drei-Säulen-System
Das System der Vorsorge in der Schweiz steht auf drei Säulen: die staatliche Vorsorge (1. Säule), die berufliche Vorsorge (2. Säule) und die private Vorsorge (3. Säule). Im vorliegenden Artikel geht es lediglich um die 2. und die 3. Säule.
Die 2. Säule bilden die gesetzlichen Pensionskassen. Darin sind grundsätzlich alle Arbeitnehmenden ab dem 18. Altersjahr mit einem jährlichen Mindesteinkommen von momentan 21 510 CHF versichert. Ab dem 25. Altersjahr deckt die Versicherung nicht nur die Risiken Tod und Invalidität ab, sondern es wird auch für die Altersrente Guthaben angespart. Finanziert wird die Pensionskasse durch Beiträge der Arbeitnehmenden als auch der Arbeitgeber. Die 3. Säule, die sogenannte private Vorsorge, ist für jede Person freiwillig und lässt sich durch verschiedene Spar und Versicherungslösungen individuell ausgestalten. Einigt sich ein verheiratetes Paar auf eine klassische Rollenverteilung – das heisst, ein Ehepartner betreut die Kinder, der andere ist erwerbstätig –, so spart nur der erwerbstätige Ehepartner für sich Altersguthaben an. Der andere hingegen stünde im Falle einer Scheidung folglich ohne Altersvorsorge aus der 2. und 3. Säule da. Dieser Ungleichheit wirkt das Gesetz entgegen.
Die 2. Säule
Das Gesetz sieht vor, dass die während der Ehe bis zum Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens erworbenen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge bei der Scheidung ausgeglichen werden (Art. 122 ZGB). Die erworbenen Austrittsleistungen samt Freizügigkeitsguthaben und Vorbezügen für Wohneigentum werden dabei hälftig geteilt (Art. 123 Abs. 1 ZGB), unter Verrechnung gegenseitiger Ansprüche. Mit dieser hälftigen Teilung soll derjenige Ehepartner bei Eintritt des Vorsorgefalls entlastet werden, der während der Ehe kein oder nur ein geringes Guthaben in der 2. Säule anhäufen konnte.
Die 3. Säule
Im Falle der Scheidung werden die Gelder der gebundenen Vorsorge unter Anwendung der Regeln des ehelichen Güterrechts geteilt. Haben die Ehepartner den gesetzlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung nicht durch Ehevertrag gewechselt oder abgeändert, hat jeder Ehepartner bei Auflösung der Ehe Anspruch auf die Hälfte der Errungenschaft des anderen.
Als Errungenschaft gilt insbesondere der während der Ehe angesparte Arbeitslohn. Bezahlt ein Ehepartner die Beiträge der privaten gebundenen Vorsorge aus seinem Arbeitslohn – was im Übrigen vermutet wird –, so gehört das derart angehäufte Vermögen in der 3. Säule zur Errungenschaft, und der andere Ehepartner hat darauf zur Hälfte Anspruch. Die während der Ehe angesparten Vorsorgegelder der 3. Säule sind in diesem Fall ebenfalls zu teilen.
Vorbezüge
Sowohl aus der 2. als auch aus der 3. Säule kann eine Person Vorbezüge für den Erwerb eines selbst bewohnten Wohneigentums beziehen. Auf steuerliche Folgen wird nachfolgend nicht eingegangen. Bezieht eine Person Beiträge aus der 2. Säule zur Finanzierung eines Eigenheims, so ist das Geld weiterhin im System der berufli chen Vorsorge gebunden und muss im Falle der Veräusserung des Wohneigen tums an die Pensionskasse zurückbezahlt werden. Die in das Eigenheim investierten Pensionskassenbeiträge zählen demzufolge auch weiterhin zu den scheidungsrechtlich zu teilenden Vorsorgegeldern der 2. Säule. Der Vorbezug ist im Falle einer Scheidung deshalb zu den zu teilenden übrigen Freizügigkeitsleistungen und Austrittsleistungen hinzuzurechnen.
Auch aus der 3. Säule kann eine Person Gelder für die Finanzierung eines Eigenheims vorbeziehen. Diese sind im Gegensatz zur 2. Säule bei einem Verkauf nicht mehr zurückzuzahlen. Trotzdem sind diese im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung weiterhin zu beachten und allenfalls zu teilen. Wenn solche Gelder im selbst bewohnten Wohneigentum investiert sind, kann die Aufteilung der Vorsorgegelder anlässlich einer Scheidung zu Problemen führen. Dies insbesondere dann, wenn der eine Ehepartner selber kein Vorsorgeguthaben angehäuft hat und er Anspruch auf die Hälfte der BVG Gelder bzw. der Errungenschaft inklusive der Vorsorgegelder aus der 3. Säule des anderen Ehepartners hat. Dem ausgleichungspflichtigen Ehepartner verbleiben in diesem Fall allenfalls nicht mehr genügend «freie» Beiträge und/oder andere liquide Mittel, um den anderen Ehepartner «auszuzahlen». Dieser Liquiditätsengpass kann allenfalls dazu führen, dass das selbst bewohnte Wohneigentum verkauft werden muss.
Lösungsansätze
Wenn das Wohneigentum nicht verkauft, sondern im Rahmen der Scheidung einem Ehepartner zugewiesen werden soll, bieten sich folgende Lösungsansätze an:
- Beiträge der 2. Säule können grundsätzlich nicht umgeschichtet werden. Die Ehegatten können jedoch anlässlich der Scheidung eine andere Teilung als die hälftige vereinbaren und den Anspruch auf die vorbezogene Wohnfinanzierung durch andere Mittel sicherstellen, beispielsweise durch einen angemessenen Vorsorgeunterhalt oder durch eine einmalige Kapitalabfindung aus nicht gebundenen Mitteln. Das Gericht hat diese Vereinbarung jedoch zu genehmigen und dabei sicherzustellen, dass eine angemessene Alters- und Invalidenvorsorge für beide Ehepartner gewährleistet bleibt.
- Eine Abfindung von Ansprüchen auf Vorsorgeguthaben kann bei der Errungenschaftsbeteiligung insbesondere durch Mittel aus dem Eigengut eines Ehepartners erfolgen. Eigengut sind insbesondere Vermögenswerte, die dem Ehepartner bereits vor dem Eheschluss gehörten, oder die er während der Ehe durch Erbgang oder sowie unentgeltlich erhalten hat. Aus beweisrechtlichen Gründen ist es dabei sinnvoll, Eigengutsvermögen von Anfang an getrennt vom übrigen Vermögen zu verwalten, damit möglichst keine Vermischung mit dem Errungenschaftsvermögen erfolgt. An dieser Stelle der Hinweis, dass Erträge aus Eigengut von Gesetzes wegen zur Errungenschaft gehören; will man auch diese Erträge als Eigengut haben, muss dies in einem Ehevertrag vereinbart werden.
- Den Ehepartnern stehen zusätzlich die individuellen, ehevertraglichen Regelungsmöglichkeiten offen. Erträge aus Eigengut können beispielsweise zu Eigengut erklärt werden. Es besteht zudem die Möglichkeit, anstelle der Errungenschaftsbeteiligung den Güterstand der Gütertrennung oder der Gütergemeinschaft zu vereinbaren. Mit solchen Instrumenten können freie, nicht zu teilende Vermögenswerte geschaffen werden, mit denen dann Ansprüche auf Vorsorgeguthaben des anderen Ehepartners abgegolten werden können.
- Bei einem WEF-Vorbezug von Vorsorgegeldern ist nebst der Frage der Pflicht zur Teilung auch danach zu fragen, wem aufgrund der Scheidung die eheliche Wohnung zugewiesen wird. Übernimmt der vorbeziehende Ehepartner die eheliche Wohnung, können allenfalls die bereits beschriebenen Möglichkeiten wie die einmalige Kapitalabfindung eine Lösung darstellen. Übernimmt derjenige Ehepartner die eheliche Wohnung, der keinen Vorbezug geleistet, aber Anspruch auf eine Ausgleichszahlung hat, kann eine Umteilung der investierten Gelder auf den übernehmenden Ehepartner vorgenommen werden. Dem übernehmenden Ehepartner werden dabei die vorbezogenen und investierten Gelder als Abgeltung für die Teilung der Vorsorgegelder «gutgeschrieben». Der ausgleichungspflichtige Ehepartner kann sich so seiner Schuld entledigen, ohne dass er weitere finanzielle Mittel bereitstellen muss.
Fazit
Mit einer umsichtigen Finanzplanung bereits im Zeitpunkt der Eheschliessung kann den genannten Gefahren entgegengewirkt werden. Wichtig bleibt aber dabei stets, dass für beide Ehepartner eine ausreichende Altersvorsorge sichergestellt ist. Individuelle, ehevertragliche Anpassungen der gesetzlichen Regelungen können zusätzlich helfen, für beide Ehepartner nachhaltige Lösungen zu finden.
Dabei müssen auch allfällige Scheidungsfolgen beachtet werden, auch wenn sich die Auseinandersetzung mit dieser Thematik zu Beginn einer Ehe wohl nicht allzu grosser Beliebtheit erfreuen dürfte.
Schliesslich bestehen im Falle der Scheidung mehrere Lösungsmöglichkeiten, wie die Ansprüche der einzelnen Ehepartner abgerechnet werden können. Dazu müssen jedoch beide Ehepartner einvernehmlich zusammenwirken.
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