KMU-Magain Nr. 6/7, Juni/Juli 2017 Strafrechtliche Qualifikation und präventive Massnahmen
Mit der verstärkten Globalisierung und internationalen geschäftlichen Vernetzung wächst auch die Bedrohung für Schweizer Unternehmen, Opfer von Wirtschaftsspionage zu werden. Jährliche Milliardenverluste sind die Folge. Der Beitrag zeigt, welche strafrechtliche Relevanz besteht und welche präventiven Massnahmen angeraten sind.
Unter Wirtschaftsspionage wird die gezielte Ausforschung von geschützten oder geheimen Informationen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und Militär wie die Ausspähung eines erarbeiteten Know-hows einer wirtschaftlichen Unternehmung oder wissenschaftlichen Einrichtung verstanden. Zu differenzieren ist hauptsächlich zwischen der nachrichtendienstlichen Wirtschaftsspionage, hinter welcher ein staatlicher Apparat steht, und der Konkurrenzspionage, für welche ein Unternehmen verantwortlich ist.
Bedrohung wächst
Das Schadenspotenzial im Bereich der Wirtschaftsspionage ist aufgrund der Komplexität der Fälle und der hohen Dunkelziffer sehr schwer einzuschätzen. Das jährliche Schadenspotenzial wird auf ein Volumen von 7,5 Milliarden Schweizer Franken geschätzt und entspricht somit über 1 Prozent des BIP der Schweiz.
Infolge der verstärkten Globalisierung sowie der internationalen geschäftlichen Ver- netzung wächst auch die Bedrohung für Schweizer Unternehmen, Opfer von Wirtschaftsspionage zu werden. Sensible Daten und deren illegaler Wissenstransfer können zur Existenzgefährdung eines Unternehmens führen, da sie einen allfälligen Wettbewerbsvorteil zunichtemachen können. Die Schweiz ist eines der führenden Länder im Bereich Forschung und Entwicklung, demzufolge wecken die hier ansässigen Firmen das Interesse ausländischer Nachrichtendienste und sind deshalb prädestiniert für entsprechende Ausforschungen.
Strafrechtliche Relevanz
Strafrechtliche Bestimmungen
Das Schweizerische Strafgesetzbuch stellt eine Reihe von Normen zur strafrechtlichen Bekämpfung der Wirtschaftsspionage zur Verfügung. Besonderes Augenmerk wird im Folgenden auf den Art. 273 und den Art. 162 des Strafgesetzbuches (StGB) gelegt.
Wirtschaftlicher Nachrichtendienst
Im Gegensatz zu Art. 162 StGB schützt Art. 273 StGB nicht direkt die Interessen der Privatpersonen. Vielmehr umfasst Art. 273 StGB den wirtschaftlichen Nachrichtendienst, welcher dem Schutz der wirtschaftlichen Gesamtinteressen der Schweiz und gleichzeitig der Bekämpfung der Wirtschaftsspionage dient. Strafbar nach Art. 273 StGB macht sich, wer ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis auskundschaftet, um es einer fremden amtlichen Stelle oder einer ausländischen Organisation oder ihren Agenten zugänglich zu machen. Auch das blosse Zugänglichmachen eines geschützten Geheimnisses wird von Art. 273 StGB umfasst. Infolgedessen wird Art. 273 StGB durch Auskundschaften sowie das Zugänglichmachen von Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnissen verletzt, ganz unabhängig davon, ob es sich um ein zuvor ausgekundschaftetes Geheimnis handelt.
Ein Geheimnis im Sinne von Art. 273 StGB bezieht sich auf ökonomisch bedeutsame Tatsachen, die nur einem beschränkten Personenkreis bekannt sind und an deren Geheimhaltung die geschützte Person ein sachlich begründetes Interesse hat, das heisst, der Geheimnisherr weist einen Geheimhaltungswillen sowie ein Geheimhaltungsinteresse auf. Folglich können Gegenstand eines solchen Geheimnisses nur Tatsachen sein, die weder offenkundig und noch allgemein zugänglich sind.
Eine Differenzierung muss zwischen den Fabrikations- und den Geschäftsgeheimnissen vorgenommen werden. Fabrikationsgeheimnisse bilden das technische Know-how einer Unternehmung, wohingegen sich Geschäftsgeheimnisse auf unternehmerische Tatsachen und wirtschaftliche Verhältnisse beziehen. Von Bedeutung für das Greifen von Art. 273 StGB ist insbesondere der Bezug zur Schweiz und dass die Offenlegung der Geheimnisse die Interessen der Schweiz als Staat berührt.
Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind «alle Tatsachen des wirtschaftlichen Lebens […], an deren Geheimhaltung nach schweizerischer Auffassung ein schutzwürdiges Interesse besteht und die deshalb dem Auslande gegenüber geschützt werden sollen», vom Geschäftsgeheimnisbegriff im Sinne von Art. 273 StGB erfasst. Dies ist beispielsweise gegeben, falls die Offenlegung die Geschäftsinteressen eines schweizerischen Unternehmens beeinträchtigt.
Die Tat ist vollendet, wenn die fremde amtliche Stelle, Unternehmung oder Organisation respektive deren Agent Gelegenheit hat, vom Inhalt Kenntnis zu nehmen. Es reicht bereits die Ausforschung und das Zugänglichmachen eines Teils eines Geschäftsgeheimnisses aus.
Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses
Durch Art. 162 StGB wird sowohl die unberechtigte Kommunikation über ein Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnis als auch die Ausbeutung einer unrechtmässig erlangten Information darüber unter Strafe gestellt. Dabei handelt es sich um ein Antragsdelikt, was bedeutet, dass der Staat nur auf Strafantrag hin tätig wird. Dabei sind die Voraussetzungen von Art. 30 ff. des Schweizerischen Strafgesetzbuchs zu beachten, insbesondere die Antragsfrist von drei Monaten. Die Dreimonatsfrist beginnt mit dem Bekanntwerden des mutmasslichen Täters.
Die geschützten Tatsachen sind dieselben wie bei Art. 273 StGB (siehe oben). Nur fabrikations- und geschäftsbedeutende Geheimnisse sind relevant. Mit anderen Worten sind Geheimnisse geschützt, deren Offenbarung einen Einfluss auf das Geschäftsergebnis hat. Des Geheimnisverrats kann nur beschuldigt werden, wer gesetzlich oder vertraglich zur Geheimnisbewahrung verpflichtet ist. Eine solche Pflicht ergibt sich bei Arbeitsverhältnissen bereits aus Art. 321a Abs. 4 OR.
Geheimhaltungsklausel
Es schadet jedoch nicht, eine Geheimhaltungsklausel in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, um der Geheimhaltungspflicht mehr Publizität zu geben. Des Weiteren ist auch zu überlegen, ob eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht mit einer Konventionalstrafe zu verbinden sei. Damit kann im Falle einer Geheimnisverletzung mit geringerem Beweisaufwand eine monetäre Ersatzpflicht gefordert werden.
Keiner besonderer Pflichtverletzung bedarf es für die Strafbarkeit der Ausnützung des Geheimnisverrates für sich oder eines anderen. Entscheidend ist aber, dass das Geheimnis im Moment seiner Verwertung immer noch besteht. Wurde das Geheimnis durch den Verrat öffentlich zugänglich gemacht, bleibt seine Verwertung durch einen Dritten straflos. Zudem bleiben Personen nach Art. 162 StGB straflos, die ihnen anvertraute Geheimnisse zu ihrem eigenen Nutzen gebrauchen, weil dies kein Verrat darstellt. Indes lässt sich diese Geheimnisverwertung bei gegebenen Voraussetzungen als unlauterer Wettbewerb qualifizieren.
Präventionsmassnahmen
Das Strafrecht entfaltet seine präventive Wirkung vor allem mit der Strafandrohung. Ansonsten hat das Strafrecht eine retrospektive Betrachtung. Insbesondere im Bereich der internationalen Kriminalität, zu welcher die Fälle von Wirtschaftsspionage häufig gehören, ist die präventive Wirkung des Strafrechts aufgrund der schweren Verfolgbarkeit der oft auch vom Ausland agierenden Täterschaft eher gering. Umso wichtiger werden in diesem Bereich andere soziale und technische Präventionsmassnahmen. Einen vollständigen Schutz vor möglichen Geheimnisverletzungen ist insbesondere in der heutigen digitalisier ten Geschäftswelt nicht möglich. Genau deshalb ist es umso wichtiger, dass elementare Schutzmassnahmen von den Unternehmen ergriffen werden, um den ungewollten Informationsabfluss möglichst zu vermeiden.
Vorschlag für Unternehmen
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB), der in Zusammenarbeit mit den kantonalen Stellen die Schweizer Unternehmen bei der Bekämpfung der Wirtschaftsspionage unterstützt, schlägt folgende grundlegende präventive Massnahmen vor:
› Erstellung und Umsetzung eines Informationssicherheitskonzeptes und Ernennung einer dafür verantwortlichen Person, die mit der Unterstützung der Geschäftsleitung regelmässige Kontrollen durchführt und die Sicherheit durchsetzt.
› Zutrittskontrollen.
› Schutz von Informationen auf Papier und in Form von Computerdaten.
› Definition der Zutrittsrechte auf Datensammlungen und sensible Akten.
› Genaue Überprüfung der Mitarbeiterinnen sowie der Mitarbeiter vor der Einstellung.
› Kontrolle darüber, welche Informationen von oder über die Unternehmung beziehungsweise die Institution im Internet publiziert werden.
› Korrektes Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Reisen im Ausland.
› Durchsetzung der Sicherheitsmassnahmen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie.
Für weiterführende Informationen, insbesondere auch im Bereich der Sicherheitsmassnahmen und der Informations- und Kommunikationstechnologie, wird auf das Projekt «Prophylax» des NDB verwiesen (siehe: www.vbs.admin.ch/de/ themen/nachrichtenbeschaffung/wirtschaftsspionage.html ).
Fazit
Die Wirtschaftsspionage wird zwar strafrechtlich erfasst, doch zum Zeitpunkt, wo das Strafrecht zur Anwendung kommt, ist in vielen Fällen der ökonomische Schaden für die Unternehmungen bereits eingetreten. Aus diesem Grund ist jede Unternehmung gut beraten, ihre Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse zu schützen und daher in die Prävention zu investieren.
Willkommen ist daher auch die Hilfestellung des NDB, welche einen wichtigen Beitrag für die Prävention der schweizerischen Firmen leisten kann.