Clinicum 4-16, Ein Spannungsfeld zwischen Planung, Politik und Wettbewerb Heisses Eisen Spitalplanung
Am 1. Januar 2009 trat die neue Spitalfinanzierung in Kraft und mit ihr eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen im Krankenversicherungsgesetz (KVG) und der dazu gehörenden Verordnung (KVV). Ziel der Revision war es u.a., mehr Wettbewerb in die Schweizer Spitallandschaft zu bringen. Der Wettbewerb sollte die bis anhin geltende staatliche Planung so ergänzen, dass einerseits die Versorgung aller Versicherten sichergestellt ist und andererseits die Ressourcen optimal genutzt werden (Botschaft zur Spitalfinanzierung, BBl 2004, S. 5564.).
Auch wenn die eigentliche Spitalplanung, d.h. die Aufnahme von Spitälern auf die Spitalliste, traditionell eine Aufgabe der Kantone ist, wurden die Vorgaben durch den Bund mit der neuen Spitalfi nanzierung verfeinert. Zum einen sollen die Kantone grundsätzlich leistungsorientiert und nicht mehr kapazitätsbezogen planen. Zum anderen stellt Art. 39 Abs. 1 KVG Kriterien auf, die erfüllt sein müssen, damit ein Spital von einem Kanton auf die Spitalliste gesetzt werden und – im Rahmen seines Leistungsauftrags – zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen kann. Demnach muss ein Spital eine ausreichende ärztliche Betreuung gewährleisten und über das erforderliche Fachpersonal sowie zweckentsprechende medizinische Einrichtungen (inklusive pharmazeutische Versorgung) verfügen. Zudem hat die Leistung des Spitals bedarfsgerecht zu sein.
Obwohl der Bund den Kantonen Leitlinien zur Spitalplanung vorgegeben hat, besteht nicht immer Einigkeit darüber, wie das Gesetz zu verstehen ist. In den vergangenen Jahren hatten die Gerichte verschiedentlich Gelegenheit – im Spannungsfeld zwischen Planung, Politik und Wettbewerb – , diese bundesrechtlichen Vorgaben zur Spitalplanung zu konkretisieren. Folgende drei Fragen, mit denen sich die Gerichte zu beschäftigen hatten, sollen hier kurz angesprochen werden: Wann ist die Spitalplanung «bedarfsgerecht»? Ist bei der leistungsorientierten Planung eine Mengensteuerung zulässig? Und wer ist – abgesehen von den direktbetroffenen Spitälern – berechtigt, gegen Spitallistenentscheide eines Kantons Beschwerde zu führen?
Bedarfsgerechte Spitalversorgung
Gemäss Art. 58a Abs. 1 KVV umfasst die Spitalplanung für eine bedarfsgerechte Versorgung die Sicherstellung der stationären Behandlung im Spital für die Einwohnerinnen und Einwohner der Kantone, die die Planung erstellen. Nach der Meinung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Versorgungsplanung grundsätzlich dann bedarfsgerecht, «wenn sie den Bedarf – aber nicht mehr als diesen – deckt» (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C1966/2014 vom 23.11.2015, E. 4; Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts C6266/2013 vom 23.07.2014, E. 4.6.1.). Denn mit den Grundsätzen von Art. 39 Abs. 1 KVG soll nicht nur eine Unterversorgung verhindert werden, sondern es sollen gleichzeitig Überkapazitäten abgebaut und Kosten eingedämmt werden (BGE 138 II 398, E. 3.6.2.). Die Kantone sind daher in jedem Fall zur Koordination der Spitalplanung verpflichtet (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C6266/3013 vom 29.09.2015, E. 4.5. Einen Schritt weiter geht der Gesetzgeber bei der hochspezialisierten Medizin, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, bei der eine gesamtschweizerische Planung vorgesehen ist (Art. 39 Abs. 2bis KVG)). Die Koordination unter den Kantonen drängt sich umso mehr auf, als es den Patientinnen und Patienten im Rahmen der freien Spitalwahl erlaubt ist, sich in einem Spital behandeln zu lassen, das nicht auf der Liste des Wohnkantons steht, jedoch auf jener des Standortkantons. Ein zentraler Punkt der Bedarfsermittlung ist denn auch die Auswertung der Patientenströme, d.h. die Berücksichtigung jener Patientinnen und Patienten, die sich nicht im Wohnkanton behandeln lassen.
Ist der Bedarf ermittelt, haben die Kantone durch Auswahl der Leistungserbringer ihren Bedarf zu decken. Dabei spielt die Wirtschaftlichkeits und Qualitätsprüfung eine zentrale Rolle. Gemäss Art. 58b Abs. 5 KVG sollen insbesondere die Effizienz der Leistungserbringung, der Nachweis der notwendigen Qualität und die Mindestfallzahlen sowie die Nutzung von Synergien geprüft werden.
Leistungsorientierte Spitalplanung
Im Zentrum der leistungsorientierten Spitalplanung steht die medizinische Leistung, die ein Spital zu erbringen hat. Nur bei Spitälern zur Rehabilitation und zur psychiatrischen Behandlung können die Kantone zwischen einer leistungsorientierten und kapazitätsbezogen Planung wählen (Art. 58c lit. a und b KVV). Bei der leistungsorientierten Planung darf keine kapazitätsbezogene Mengenbeschränkung durch die Vorgabe von Bettenkapazitäten vorgenommen werden. Eine Mengensteuerung zur Vermeidung von Überkapazitäten ist jedoch, nach Ansicht des Bundesgerichts, nicht grundsätzlich unzulässig (BGE 138 II 398, E. 3). Zu denken ist beispielsweise an eine Steuerung über maximale Fallzahlen.
Beschwerdelegitimation anderer Kantone
Gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es Ärzten, Versicherten, Vertragsspitälern oder Verbänden wie santésuisse verwehrt, gegen den Entscheid eines Kantons, ein Spital zu listen, Beschwerde zu führen. Da diese Personen und Institutionen nicht direkt Adressat des Spitallistenentscheids sind, sondern davon nur indirekt betroffen sind, fehlt es am besonders schützenswerten Interesse. Anders verhält es sich nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit Kantonen. Diese sind zur Beschwerde gegen einen Spitallistenentscheid eines anderen Kantons legitimiert, wenn der Entscheid ihre eigene Spitalplanung beeinflusst (Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts C6266/2013 vom 23.07.2014, E. 4). In diesem Fall kann ein Kanton verlangen, dass die Listung eines Spitals durch einen anderen Kanton auf seine Rechtmässigkeit hin überprüft wird.
Mit der Koordinationspflicht zwischen den Kantonen hat der Gesetzgeber ein Instrument geschaffen, um Meinungsverschiedenheiten frühzeitig auszuräumen. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Kantone von dieser Beschwerdelegitimation in Zukunft selten Gebrauch machen werden, da jedes Beschwerdeverfahren die Spitalplanung erheblich verzögert und zum Nachteil aller Beteiligten für Rechtsunsicherheit sorgt.
Gelingt der Spagat zwischen Planung, Politik und Wettbewerb?
Dieser kurze Abriss zeigt, die Spitalplanung ist hochkomplex. Dabei spielen nicht nur gesetzliche Vorgaben sondern auch regionalpolitische Entscheide eine Rolle. Wie am Anfang ausgeführt, sollte mit der Revision der Spitalfinanzierung mehr Wettbewerb zwischen den Spitälern und so auch zwischen den Kantonen entstehen. Obwohl einzelne Elemente der Revision, wie z.B. die freie Spitalwahl, zu mehr Wettbewerb zwischen den Spitälern führen (werden), bleibt abzuwarten, ob in Zukunft das angestrebte Ineinandergreifen von staatlicher Planung und Wettbewerb gelingen wird. Durch die Rechtsprechung wird der Leistungs und Qualitätswettbewerb unter den Spitälern jedenfalls zurückgedrängt. Denn Wettbewerb kann nur stattfinden, wenn Überkapazitäten zugelassen werden. Nur dann hat ein Leistungserbringer überhaupt die Möglichkeit, neue Patientinnen und Patienten auf Kosten anderer Leistungserbringer dazuzugewinnen. Auch wenn Leistungserbringer bei der Bedarfsdeckung durch die Kantone miteinander konkurrieren, wird diese Konkurrenzsituation nach der Listung nicht aufrechterhalten. Wird die Listung mit einer (zulässigen) Mengenbeschränkung verbunden, bleibt den Spitälern noch weniger Spielraum.
Gefordert sind letztlich die Kantone, die für die Spitalplanung verantwortlich sind. Sie haben es auch in der Hand zu entscheiden, wie sich die vom Bundesverwaltungsgericht zugesprochene Beschwerdelegitimation von Kantonen gegen Spitallistenentscheide anderer Kantone in Zukunft auswirken wird. Sicher ist, dass eine gut funktionierende interkantonale Koordination wesentlich zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen den Kantonen beiträgt. Es ist daher zu begrüssen, dass im Rahmen der Überarbeitung der Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und direktoren (GDK) zur Spitalplanung auch die interkantonale Koordination thematisiert wird.