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KMU-Magazin Nr. 4/5, Mai 2019 Spannungsverhältnisse der Energiestrategie 2050

Die Energiestrategie 2050 bleibt ein spannungsgeladenes Thema. Vor allem der geforderte Ausbau erneuerbarer Energien birgt Zielkonflikte. Die Bewilligung einer Energieanlage etwa kann dem Interesse am Natur-, Landschafts-, Heimat- oder Ortsbildschutz entgegenstehen. Der Beitrag beschreibt rechtliche Aspekte dieses Spannungsverhältnisses.

Die Energiestrategie 2050 bezweckt den Umbau des Schweizer Energiesystems, um so den wirtschaftlichen und tech­nologischen Entwicklungen und den politischen Entscheidungen im In­ und Ausland gerecht werden zu können. Mit­tels der Energiestrategie 2050 soll die Schweiz die neue Ausgangslage vorteil­haft nutzen und ihren hohen Versor­gungsstandard erhalten.

Ziele und Maßnahmen

Gleichzeitig soll die Strategie dazu bei­ tragen, die energiebedingte Umwelt­ belastung der Schweiz zu verringern und die schweizerischen Klimaschutzziele zu erreichen. Außerdem soll der End­energieverbrauch reduziert werden, der Anteil der erneuerbaren Energien erhöht werden und die energiebedingten CO2­ Emissionen gesenkt werden. Insbeson­dere sollen zudem die bestehenden fünf Kernkraftwerke am Ende ihrer sicher­heitstechnischen Betriebsdauer stillge­ legt und nicht durch neue Kernkraft­werke ersetzt werden.

Folgende Maßnahmen sieht die Energie­ strategie 2050 vor:

  • Verstärkung der Energieeffizienz mit­ tels Anreizschaffung
  • Verstärkung der Nutzung der einhei­ mischen erneuerbaren Energien
  • Ausstieg aus der Kernenergie
  • Beschleunigung der Verfahren betref­fend den Ausbau der Stromnetze

Diese Maßnahmen wurden in der natio­ nalen Energiegesetzgebung umgesetzt. Infolge dieser Umsetzung ist das total revidierte Energiegesetz am 1. Januar 2018 in Kraft getreten.

Die erneuerbaren Energien

Die verstärkte Nutzung der einheimi­schen erneuerbaren Energien stellt eine Massnahme dar, um die Ziele der Ener­giestrategie 2050 zu erreichen. Unter die einheimischen erneuerbaren Ener­gien fallen die traditionelle Wasserkraft und die «neuen» erneuerbaren Energien wie Sonne, Holz, Biomasse, Wind und Geothermie. Heute wird davon ausge­ gangen, dass die langfristigen Potenziale der einheimischen, erneuerbaren Ener­ gien für die Erzeugung von Strom und Wärme sehr hoch sind. Zudem ist zu er­ warten, dass die stetig fortschreitende technologische Entwicklung diese Poten­ziale der einheimischen erneuerbaren Energien noch weiter steigern kann.

Jedoch besitzen die einheimischen er­ neuerbaren Energien auch viel Konflikt­ potenzial. Die Nutzung von erneuerbaren Energien ist sehr raumintensiv. Man stelle sich beispielsweise nur ein Pumpspei­cherkraftwerk oder eine Windparkanlage vor. Diese führen zu einem unübersehba­ren Eingriff in die Landschaft. Diese Tat­sache führt zum Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an der verstärk­ten Produktion von Energie aus erneuer­ baren einheimischen Quellen und beispielsweise dem Interesse am Schutz der einheimischen Landschaft.

Von nationalem Interesse

Das Energiegesetz (EnG) statuiert in Art. 12 Abs. 1, dass die Nutzung erneuer­barer Energien und ihr Ausbau von natio­nalem Interesse sind. Gemäß dem Art. 12 Abs. 2 EnG sind einzelne Anlagen zur Nut­zung erneuerbarer Energien, namentlich auch Speicherkraftwerke sowie Pump­speicherkraftwerke, ab einer bestimmten Grösse und Bedeutung von einem natio­nalen Interesse, das insbesondere dem­jenigen nach Art. 6 Absatz 2 des Bundes­gesetzes vom 1. Juli 1966 über den Natur­- und Heimatschutz (NHG) ent­spricht. Indes sind in Biotopen von natio­naler Bedeutung nach Art. 18a NHG und in Wasser­ und Zugvogelreservaten nach Art. 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 neue Anlagen zur Nutzung erneu­erbarer Energien ausgeschlossen.

Geregelte Schwellenwerte

Die Schwellenwerte zum nationalen In­teresse sind in der Energieverordnung (EnV) geregelt. Danach ist ersichtlich, dass gemäss bestehendem Recht nur Wasser­ und Windkraftanlagen von natio­nalem Interesse sein können.

Wasserkraftanlagen

Gemäss Art. 8 Abs. 1 EnV sind Wasser­kraftanlagen von nationalem Interesse, wenn sie über a. eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 20 Gigawattstunden (GWh) verfügen; oder b. über eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 10 GWh und min­ destens 800 Stunden Stauinhalt bei Voll­leistung verfügen. Gemäss Art. 8 Abs. 2 EnV sind bestehende Wasserkraftanlagen von nationalem Interesse, wenn sie durch Erweiterung oder Erneuerung: a. eine mittlere erwartete Produktion von jähr­ lich mindestens 10 GWh erreichen; oder b. eine mittlere erwartete Produktion von jährlich mindestens 5 GWh erreichen und über mindestens 400 Stunden Stauinhalt bei Vollleistung verfügen.

Liegt bei neuen Wasserkraftanlagen die er­ wartete mittlere Produktion zwischen 10 und 20 GWh pro Jahr und bei bestehenden zwischen 5 und 10 GWh pro Jahr, so reduziert sich die Anforderung an den Stauin­ halt linear (Art. 8 Abs. 3 EnV). Schliesslich sind Pumpspeicherkraftwerke von natio­nalem Interesse, wenn sie über eine installierte Leistung von mindestens 100 Mega­ watt (MW) verfügen (Art. 8 Abs. 4 EnV).

Windkraftanlagen

Bei den Windkraftanlagen wird zwischen einzelnen Anlagen und Windparks unterschieden. Gemäss Art. 9 Abs. 1 EnV können für die Beurteilung, ob eine Wind­kraftanlage von nationalem Interesse ist, mehrere Anlagen gemeinsam berück­sichtigt werden, wenn sie in einer nahen räumlichen und gemeinsamen Anord­nung (Windpark) stehen. Eben diese Anordnung ist gegeben, wenn: a. die An­ lagen innerhalb des gleichen, im kanto­ nalen Richtplan festgelegten Windener­ giegebiets liegen; oder b. für die Anlagen ein gemeinsamer Umweltverträglich­ keitsbericht erstellt wird.

Auch die Windkraftanlagen beziehungs­ weise Windparks müssen bestimmte Schwellenwerte erreichen. Art. 9 Abs. 2 EnV bestimmt, dass neue Windkraftanla­gen oder Windparks von nationalem In­teresse sind, wenn sie über eine mittlere erwartete Produktion von jährlich min­ destens 20 GWh verfügen. Bestehende Windkraftanlagen oder Windparks sind ebenso von nationalem Interesse, wenn sie durch die Erweiterung oder Erneue­rung eine mittlere erwartete Produktion von mindestens 20 GWh pro Jahr errei­ chen (Art. 9 Abs. 3 EnV).

Interessenabwägungen

Demzufolge erhalten neue und beste­hende Anlagen beim Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes den Sta­tus eines nationalen Interesses. Mit die­sem Status ziehen die Energieanlagen grundsätzlich mit anderen Interessen von nationaler Bedeutung gleich, insbe­sondere mit dem Schutzniveau, das die Objekte in den Bundesinventaren des Natur­, Landschafts­, Heimat­ oder Orts­bildschutzes geniessen (BLN­Gebiete). Von deren ungeschmälerten Erhaltung darf nur zugunsten eines gleich­ oder höherwertigen nationalen Anliegens ab­gewichen werden.

Dies hat zur Folge, dass, wenn in einem konkreten Fall über eine Bewilligung ei­ner Energieanlage zu entscheiden ist, eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse am Bau oder der Erweiterung der Energieanlagen und dem Interesse am ungeschmälerten Erhalt der Objekte in den Bundesinventaren des Natur­, Landschafts­, Heimat­ oder Ortsbild­schutzes vorzunehmen ist und die Ener­gieanlagen nicht per se hinter die ent­sprechend höherliegenden nationalen Interessen der Objekte in den Bundes­ inventaren des Natur­, Landschafts­, Heimat­ oder Ortsbildschutzes zurück­ weichen müssen.

Besonderer Schutz

Eine solche nationale Bedeutung kommt nicht nur den erwähnten Objekten in den Natur­ und Heimatschutzinventaren des Bundes zu. Auch Auengebiete, Vogelreservate und Biotope geniessen ent­sprechenden Schutz. Dabei ist zu beachten, dass in Biotopen von nationaler Be­deutung nach Artikel 18a NHG und in Wasser­ und Zugvogelreservaten nach Artikel 11 des Jagdgesetzes vom 20. Juni 1986 neue Anlagen zur Nutzung erneu­erbarer Energien ausgeschlossen sind. Diesbezüglich wurde vorab eine Wertung zugunsten der vorgenannten Objekte gegen die Erstellung von neuen Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien vom Gesetzgeber vorgenommen.

Sinnhaftigkeit ist zu prüfen

Ferner haben Energievorhaben auch den weiteren Interessen wie beispielsweise den Luftfahrten oder der Walderhaltung Rechnung zu tragen. Mit der Anhebung der Energieanlagen bei Erreichen der gesetzlich definierten Schwellenwerte zum nationalen Interesse soll ganz allge­mein eine Akzentverschiebung zuguns­ten der erneuerbaren Energien geschaf­fen werden. Sie sollen dadurch bessere Realisierungschancen erhalten.

Die Idee ist nicht, dass sämtliche freien Standorte oder die bestehenden Schutzgebiete nun mit Energieanlagen verbaut werden sollen.

Es geht darum, dass in einem konkreten Einzelfall geprüft werden darf, ob eine bestimmte Anlage an einem bestimmten Standort Sinn macht oder nicht. In jedem Fall sollen insbesondere die Anlagen rea­lisiert werden, die mit möglichst wenigen Eingriffen einen größtmöglichen Nutzen für die Energieproduktion herbeiführen. Trotzdem bleibt das Thema spannungsge­laden und es wird sich in Zukunft zeigen, wie die Gerichte die nun mögliche Inter­essenabwägung vornehmen werden. 

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