Der Schweizer Treuhänder, 4/2005 Grundzüge des Kulturgütertransfergesetzes - Wichtige Regelungen und Erkenntnisse
Das Eidgenössische Parlament hat am 20. Juni 2003 das Kulturgütertransfergesetz (KGTG) verabschiedet. Dieses Gesetz setzt die Unesco-Konvention 1970 für die Schweiz um und enthält entsprechend seiner Zweckbestimmung Regelungen zur Einfuhr von Kulturgut in die Schweiz, zur Durch- und Ausfuhr sowie zur Rückführung aus der Schweiz. Es wird voraussichtlich am 1. Juni 2005 in Kraft treten. Die wichtigsten Regelungsbereiche sollen im folgenden Treuhändern, Anwälten, Sammlern, Museen, Stiftungsräten usw. näher gebracht werden.
1. Unesco-Konvention 1970
Das neue KGTG setzt im wesentlichen die Unesco-Konvention 1970 ins Schweizerische Recht um, derenBestimmungen nicht direkt anwendbarsind. Sie wurde von über 100 Staaten ratifiziert, darunter den USA, Kanada, Japan, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal. An etlichen Stellen des KGTG (insbesondere im Zusammenhang mit der Definition der zentralen Begriffe «Kulturgut» und «kulturelles Erbe») wird denn auch auf diese Unesco-Konvention 1970 verwiesen. Das hat zur Folge, dass der Rechtssuchende sich ebenso detailliert mit dieser Konvention auseinandersetzen muss. Bis zum Inkrafttreten des KGTG (voraussichtlich 1. Juni 2005) wird der Bundesrat noch die Kulturgütertransferverordnung, welche die Details zu diesem Gesetz enthalten wir, in ihre definitive Fassung bringen.
2. Zweck und Massnahmendes KGTG
Mit dem KGTG will der Bund einen Beitrag zu Erhaltung des kulturellen Erbes der Menschheit leisten und Diebstahl, Plünderung sowie illegale Ein-, Aus- und Durchfuhr von Kulturgut verhindern. Eine gegenüber den übrigen beweglichen Sachen besondere Gesetzgebung rechtfertigt sich insbesondere deswegen, weil Kulturgüter «Identifikationsträger für die einzelnen und die Gemeinschaft, in ihrer Bedeutung einzigartig und unersetzlich» sind. Sie sind prägend für das Selbstverständnis und den sozialen Zusammenhalt einer Gemeinschaft.Dem erhöhten Schutz der Kulturgüter bzw. dem Schutz ihrer Eigentümer dienenv. a. folgende im Gesetz vorgesehene Massnahmen:
- Ausfuhrregelung und Ausfuhrkontrollefür bedeutende Kulturgüter im Eigentum des Bundes;
- Ausfuhrkontrolle der Kulturgüter im Verzeichnis der Kantone;
- Rückführungsansprüche betreffend rechtswidrig aus der Schweiz ausgeführter, verzeichneter Kulturgüter;
- Abschluss von Vereinbarungen bzw. Staatsverträgen über Einfuhr und Rückführung von Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe;
- Möglichkeit der Erhebung von Rückführungsklagen aufgrund von Vereinbarungen in Bezug auf Kulturgüter von wesentlicher Bedeutung, die rechtwidrig aus einem Vertragsstaat der Unesco-Konvention 1970 ausgeführt und rechtswidrig in die Schweiz eingeführt wurden;
- Sorgfaltspflichten für Kunsthändler und Auktionatoren von Kulturgut;
- Verlängerung der Fristen für die Ersitzung und den Erwerb gestohlener Kulturgüter.
3. Begriffe
3.1 Kulturgut
Das KGTG definiert Kulturgut als «ein aus religiösen oder weltlichen Gründen für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft bedeutungsvolles Gut, das einer Kategorie nach Art. 1 der Unesco-Konvention 1970 angehört».Zu den Kategorien des genannten Art.1 der Unesco-Konvention 1970 zählen unter anderem:
- seltene Exemplare der Zoologie, der Botanik, Mineralogie und Anatomie;
- die Geschichte betreffendes Gut, einschliesslich der Geschichte von Wissenschaft und Technik, des Lebens der führenden Persönlichkeiten, Denker, Wissenschaftler und Künstler;
- Ergebnisse archäologischer Ausgrabungen (sowohl vorschriftsgemässer als auch unerlaubter) oder archäologischer Entdeckungen;
- Teile künstlerischer und geschichtlicher Denkmäler oder Teile von Ausgrabungsstätten;
- Antiquitäten, die mehr als 100 Jahre alt sind;
- Gegenstände aus dem Gebiet der Ethnologie;
- Gut von künstlerischem Interesse wie Bilder, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Originalgravuren, Originaldrucke und Originallithographien;
- seltene Manuskripte und Inkunabeln, alte Bücher, Dokumente und Publikationen von besonderem Interesse, einzeln oder in Sammlungen;
- Archive einschliesslich Phono-, Foto und Filmarchive sowie
- Möbel, die mehr als 100 Jahre alt sind, und alte Musikinstrumente.
Welches Gut im Einzelfall nebst derZuschreibung zu einer dieser Kategorien als «bedeutungsvoll» für die entsprechenden Sachgebiete zu gelten hat, ist dem stetigen Wandel der Auffassungen unterworfen und von Fall zu Fall in Beachtung der aktuellen Fachdiskussionzu entscheiden.
3.2 Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe
Bestimmte Regelungen des KGTG (so etwa die Regelung betreffend Vereinbarung und Rückführung) knüpfen an den gegenüber dem Begriff «Kulturgut» engeren Begriff des «Kulturgutes von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe» eines bestimmten Staates an. Folgende Kategorienvon Kulturgütern gehören gemäss dem KGTG (Art. 2 Abs. 2 KGTG i.V. m. Art. 4 der Unesco-Konvention 1970) zum kulturellen Erbe eines Vertragsstaates:
- Kulturgut, das durch die individuelle oder kollektive Schöpferkraft von Angehörigen des betreffenden Staates entstanden ist;
- für den betreffenden Staat bedeutsames Kulturgut, das in seinem Hoheitsgebiet von dort ansässigen Ausländern oder Staatenlosen geschaffen wurde;
- im Staatsgebiet gefundenes Kulturgut;
- durch archäologische, ethnologische oder naturwissenschaftliche Aufträge mit Billigung der zuständigen Behörden des Ursprungslandes erworbenes Kulturgut;
- Kulturgut, das auf Grund freier Vereinbarung ausgetauscht worden ist;
- Kulturgut, das unentgeltlich empfangen oder rechtmässig mit Billigung der zuständigen Behörden des Ursprungslandes käuflich erworben wurde.
Nebst der Zuschreibung zu einer dieser Kategorien muss das fragliche Kulturgut für den betreffenden bzw. konkret ansprechenden Staat nicht nur «bedeutungsvoll» sein, sondern (darüber hinausgehend) eine «wesentliche Bedeutung» haben. Analog der Bestimmungdes Begriffs «Kulturgut» kann und darf die Frage nach der «wesentlichen Bedeutung» nicht generell, sondern nur im Zusammenhang mit einem konkreten Objekt und in Beachtung der aktuellen Fachdiskussion entschieden werden.
3.3 Würdigung und Auslegung
Es liegt in der Natur der Sache, dass es sehr schwierig ist, eine Definition der Begriffe «Kulturgut» und «Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe» zu formulieren.Die gewählten, sehr offenen Formulierungen fanden deshalb Verwendung, da nicht etwa das Material, die Form oder die Kategorie über die Qualifikation entscheiden, sondern die «Funktion und Bedeutung» des Objekts «für eine Gemeinschaft und ihre kulturelle Identität». Auch ein gewöhnlicher Stein kann diese Bedeutung erhalten. Man denke beispielsweise an den Unspunnen-Stein oder den schwarzen Stein von Mekka. Für den Praktiker ergibt sich aus der offen formulierten Definition aber eine ziemlich grosse Rechtsunsicherheit, die allenfalls erst durch die Praxis etwas reduziert werden kann. In bezug auf die unbestimmten Definitionselemente wie «bedeutungsvoll» oder «wesentliche Bedeutung» wird man jedenfalls verlangen müssen, dass im Einzelfall ein objektiver Massstab angesetzt und die Qualifikationen als «Kulturgut» bzw.«Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe» jeweils nicht leichthin angenommen, sondern sehr restriktiv gehandhabt wird.Andernfalls kommt der mit dem Kulturgütertransfer erhöhte Schutz selbst Gütern zu, die sich in ihrer Funktion und Bedeutung nicht wesentlich von den übrigen beweglichen Sachen abheben. Dies kann aber nicht Sinn und Zweck dieser Gesetzgebung sein und wäre mit Blick auf die Einschränkung der Kultur- und Wirtschaftsfreiheit unverhältnismässig.
4. Regelungen betreffend schweizerisches Kulturgut
4.1 Bundesverzeichnis und Rückführung
Kulturgüter im Eigentum des Bundes, die von «wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe» sind, werden in ein Bundesverzeichnis, d.h. in eine öffentlich einsehbare elektronische Datenbank, eingetragen. Zuständig dafür ist die Fachstelle, voraussichtlich das Bundesamt für Kultur im Eidgenössischen Departement des Inneren.Eine Eintragung in dieses Bundesverzeichnis bewirkt, dass die dort verzeichneten Kulturgüter weder ersessen noch gutgläubig erworben werden können. Zudem kann der Herausgabeanspruch nicht verjähren und die definitive Ausfuhr dieses Gutes aus der Schweiz ist verboten. Werden eingetragene Objekte rechtswidrig (also ohne Bewilligung) aus der Schweiz ausgeführt, macht der Bundesrat gegenüber anderen Vertragsstaaten Rückführungsansprüche geltend.
4.2 Verzeichnisse der Kantone und Rückführung
Wie der Bund können auch die Kantone – soweit sie das entsprechend ihrer Kompetenzen geregelt haben – ihre Kulturgüter in ein eigenes Verzeichnis aufnehmen. In dieses kantonale Verzeichnis finden auch Objekte von Privatpersonen Eingang, die einer solchen Eintragung zustimmen. Voraussetzung ist, dass sich die Objekte auf dem Kantonsgebiet befinden. Fürin kantonale Verzeichnisse aufgenommene Objekte kann der Bundesrat auf Antrag des jeweiligen Kantons gegenüber Vertragsstaaten Rückführungsansprüche geltend machen, wenn diese Güter rechtswidrig aus der Schweiz ausgeführt worden sind.
5. Regelungen bei ausländischem Kulturgut
5.1 Staatsverträge bzw. Vereinbarungen
Die Einfuhr von Kulturgütern wird im KGTG nicht direkt geregelt. DerBundesrat wird jedoch ermächtigt, mit Vertragsstaaten der Unesco-Konvention 1970 Staatsverträge bzw. Vereinbarungen über die Einfuhr und die Rückführung von Kulturgut abzuschliessen, was im Ergebnis die Anerkennung gewisser ausländischer Ausfuhrverbote bedeutet. Das unter den kumulativen Voraussetzungen, dass
- der Gegenstand einer solchen Vereinbarung ein Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe des jeweiligen Vertragsstaates ist;
- das Kulturgut im jeweiligen Vertragsstaat Ausfuhrbestimmungen unterliegt, die den Schutz des kulturellen Erbes bezwecken und
- der Vertragsstaat Gegenrecht gewährt.
An die Bestimmtheit und den Detaillierungsgrad der Objektbeschreibung in der Vereinbarung gemäss Art. 7 KGTG müssen gerade angesichts der vorgesehenen Rechtsfolgen hohe Anforderungen gestellt werden. Die Erfassung einer Unmenge von Objekten mittels einer vagen bzw. offenen Beschreibung ist unzulässig. Aufgrund des Objektbeschriebs muss es dem durchschnittlich verständigen Bürger möglich sein zu entscheiden, ob das fragliche Objekt Gegenstand des Vertrages ist oder nicht. Unzureichend ist auf jeden Fall ein interpretationsbedürftiger Beschrieb oder ein Beschrieb, der den Beizung eines Kunstexperten nötig macht. Gleiches gilt für den Konkretisierungsgrad des Beschriebes in den Ausfuhrbestimmungen der Vertragsstaaten.
5.2 Rückführungsklage
Wird ein Kulturgut von wesentlicher Bedeutung, das in einem Staatsvertrag beschrieben ist, illegal aus dem ausländischen Staat aus- und in die Schweiz eingeführt, so kann der entsprechende Vertragsstaat in der Schweiz auf Rückführung dieses Kulturgutes klagen. Er hat dabei insbesondere nachzuweisen, dass das Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für sein kulturelles Erbe ist und man es rechtswidrig in die Schweiz eingeführt hat. Diese Rückführungsklage verjährt ein Jahr ab Kenntnisnahme der Behörde über den Aufenthaltsort des Kulturguts. Die absolute Verjährung tritt 30 Jahre nach der rechtswidrigen Ausführung des Kulturgutes ein. Nach Ablauf von 30 Jahren ist eine Rückforderung somit in jedem Fall ausgeschlossen. Der gutgläubige Erwerber, der sein Kulturgut zurückgeben muss, hat Anspruch aufeine Entschädigung, die sich am Kaufpreis und an den notwendigen und nützlichen Aufwendungen zur Bewahrung und Erhaltung des Kulturgutes orientiert. Somit sind auch Auslagen für konservatorische Massnahmen zur Bewahrung und Erhaltung des Kulturgutes in die Festlegung der Entschädigung miteinzubeziehen.
6. Rückgabegarantie
6.1 Bedeutung und Wirkung
Die Ausstellungsorganisatoren erhalten nach Art. 10 KGTG die Möglichkeit, in bezug auf Leihgaben, die als Kulturgüter qualifiziert werden können, bei der Fachstelle des Bundes einen Antrag auf Erteilung einer Rückgabegarantie zugunsten des Leihgebers zu stellen. Die Erteilung der Rückgabegarantie bewirkt zugunsten des Leihgebers, dass Private und Behörden keine Rechtsansprüche auf das Kulturgut geltend machen können, solange sich das Kulturgut in der Schweiz befindet. Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass Ausstellungen in der Schweiz regelmässig eine grosse Anzahl Objekte enthalten, die aus dem Ausland zur Verfügung gestellt werden.
6.2 Antrag und Voraussetzungen
Der Antrag auf die Ausstellung einer Rückgabegarantie wird im Bundesblatt veröffentlicht. Nicht veröffentlicht werden Anträge, die die Bedingungen für die Erteilung einer Rückgabegarantie offensichtlich nicht erfüllen. Innert einer Frist von 30 Tagen seit der Veröffentlichung kann gegen den Antrag bei der Fachstelle schriftlich Einsprache erhoben werden. DieFachstelle kann die Rückgabegarantie erteilen, wenn kumulativ
- niemand mit Einsprache einen Eigentumstitel am Kulturgut geltend gemacht hat;
- die Einfuhr des Kulturgutes nicht rechtswidrig ist und
- im Leihvertrag vereinbart ist, dass das Kulturgut nach Abschluss der Ausstellung in den Vertragsstaat zurückkehrt, aus dem es entliehen worden ist.
Der Bundesrat ist berechtigt, zusätzliche Voraussetzungen festzulegen. Keine Rückgabegarantie wird hingegen erteilt, wenn kommerzielle Ausstellungszwecke verfolgt werden (wie z.B. bei der Verkaufsausstellung an einer Messe).
6.3 Würdigung
Die Ausstellung von Rückgabegarantien wird in der Praxis – zumindest für bedeutende Objekte – sowohl auf der Seite der Fachstelle als auch bei Organisatoren von Ausstellungen zusätzliche Aufwendungen in administrativer, kunsthistorischer und rechtlicher Hinsicht bedeuten. Dies umso mehr, als es sich empfiehlt, einer Rückgabegarantie einen genauen Werkbeschrieb (inklusive eine Fotografie, der das Objekt individualisierenden Elemente, sowie eine Dokumentation) zu Grunde zu legen. Denn nur so ist die Identität des betreffenden Objektes eindeutig festzustellen.
Sollte es nicht gelingen, diese Rückgabegarantien innert angemessener Frist und mit kleinem Aufwand (insbesondere zu geringen Kosten) zu erwirken, wird das infolge der ohne Rückgabegarantie drohenden Gefahr der Beschlagnahme grosse Verluste für den Kunst und Kulturplatz Schweiz nach sich ziehen. Kein Leihgeber wird riskieren wollen, dass sein Objekt in einem anderen Staat mit einer Verfügungsbeschränkung belegt wird und er sich einem langwierigen bzw. finanziell aufwendigen juristischen Verfahren unter Anwendung fremden Rechts durch fremde Richter aussetzen muss.
7. Sorgfaltspflichten im Kunsthandel und Auktionswesen
Im Kunsthandel und Auktionswesen darf Kulturgut nur übertragen werden, wenn die übertragende Person nach den Umständen annehmen darf, dass das Kulturgut (a) nicht gestohlen worden ist, nicht gegen den Willen des Eigentümers abhanden gekommen und nicht rechtswidrig ausgegraben worde nist sowie (b) nicht rechtswidrig eingeführt worden ist. Des weiteren sind die im Kunsthandel und Auktionswesen tätigen Personen verpflichtet:
- die Identität der einliefernden Person oder der Verkäuferin oder des Verkäufers festzustellen und von diesen eine schriftliche Erklärung über deren Verfügungsberechtigung überd as Kulturgut zu verlangen;
- ihre Kundschaft über bestehende Ein- und Ausfuhrregelungen von Vertragsstaaten zu unterrichten;
- über die Beschaffung von Kulturgut Buch zu führen und namentlich den Ursprung des Kulturgutes, soweit er bekannt ist, und den Namen und die Adresse der einliefernden Person oder Verkäufers, die Beschreibung sowie den Ankaufspreis des Kulturgute saufzuzeichnen;
- der Fachstelle alle nötigen Auskünfte über die Erfüllung dieser Sorgfaltspflichten zu erteilen;
- die Aufzeichnungen und Belege während 30 Jahren aufzubewahren.
8. Rückgabe gestohlener Kulturgüter
Das KGTG enthält auch Neuerungen, die das Zivilgesetzbuch (ZGB) und Obligationenrecht (OR) betreffen.Von Bedeutung ist die Änderung der Verjährungsregeln für die Rückforderung von Kulturgütern, die gegen den Willen des Eigentümers abhanden gekommen (also z.B. gestohlen worden) sind. Neu verjährt das entsprechende Rückforderungsrecht ein Jahr nachdem der Eigentümer Kenntnis erlangt hat, wo und bei wem sich das Kulturgut befindet, spätestens jedoch 30 Jahre nach dem Abhandenkommen (Art. 934 Abs. 1bis ZGB). Im Ergebnis bedeutet das, dass ein gutgläubiger Erwerber das Kulturgut dem Eigentümer bis 30 Jahren seit dem Abhandenkommen zurückzugeben hat.Für den Fall, dass der Erwerber das Kulturgut an einer öffentlichen Versteigerung, oder auf dem Markt oder durch einen Kaufmann, der mit Waren der gleichen Art handelt, erworben hat, kann das entsprechende Kulturgut nur gegen Vergütung des von ihm bezahlten Preises abgefordert werden (sog. Lösungsrecht). Damit wird gegenüber der bisher absolut geltenden Fünfjahres-Frist in Art. 934 Abs. 1 ZGB der Schutz des Eigentümers in bezug auf Kulturgüter klar höher bewertet als der Verkehrsschutz. Angesichts dieser langen absoluten Verjährungsfrist von 30 Jahren darf und muss nach Auffassung der Autoren im Gegenzug verlangt werden, dass derjenige, dem ein Kulturgut unrechtmässig abhanden gekommen ist, den Verlust unverzüglich einer international tätigen Datenbank für gestohlene Kulturgüter melden muss.
9. Zeitlicher Geltungsbereich
9.1 Rückwirkungsverbot
Gemäss Art. 28 Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge gilt allgemein der Grundsatz der Nichtrückwirkung von Staatsverträgen. Die Unesco-Konventionvon 1970 entfaltet – zumal sie selbst keine explizite Rückwirkung vorsieht – ihre Wirkungen dementsprechend erst nach ihrem Inkrafttreten für den ratifizierenden Staat.Dasselbe gilt für die Vereinbarungen bzw. Staatsverträge gemäss Art. 7 KGTG, die der Bundesrat mit Vertragsstaaten der Unesco-Konvention 1970 verabschiedet. Auch das KGTG ist (ausdrücklich) nicht rückwirkend anwendbar und es findet insbesondere keine Anwendung auf Erwerbsvorgänge, die vor dessen Inkrafttreten stattgefunden haben.
9.2 Beweissicherung durch Inventarisierung
Trotz Nichtrückwirkung des KGTG besteht die Möglichkeit, dass Besitzer von Kulturgütern wie etwa Museen, Sammler oder deren Erben mit einer Rückforderungsklage durch einen Vertragsstaat konfrontiert werden, obwohl sich das Kulturgut schon seit Jahren in der Schweiz befindet. Der klagende Staat müsste in einem solchen Fall zwar insbesondere nachweisen, dass das zur Diskussion stehende Kulturgut identisch ist mit demjenigen, wie es im Staatsvertrag bzw. in der Vereinbarung beschrieben ist, dass es von wesentlicher Bedeutung für sein kulturelles Erbe ist und dass es (nach Inkrafttretendes KGTG) rechtswidrig eingeführt worden ist. Wird der Beklagte jedoch von allem Anfang an – beispielsweise mittels öffentlicher Urkunde – beweisen können, dass er das entsprechende Kulturgut bereits vor Inkrafttreten des KGTG in seinem Besitz in der Schweiz hatte, wird er in aller Regel wegen der fehlenden Rückwirkung des KGTG von einem zeit- und kostenintensiven Verfahren verschont bleiben. Museen, private Sammler, Stiftungen sowie Kunst- und Antiquitätenhändler usw. sind daher gut beraten, wenn sie ihre Inventare betreffend Kulturgüter mit möglicherweise wesentlicher Bedeutung für einen bestimmten Vertragsstaat überarbeiten (bzw. ein solches erstellen, falls noch keins besteht) und (idealerweise) von einer unabhängigen Person (allenfalls einem Notar) bezeugen lassen.
10. Fazit
Das KGTG enthält im wesentlichen Bestimmungen zur Ein-, Aus- und Durchfuhr sowie zur Übertragung von Kulturgut bzw. von Kulturgut von wesentlicher Bedeutung für das kulturelle Erbe eines Vertragsstaates der Unesco-Konvention von 1970. Entsprechend der im Gesetz verankerten Definition ist ein «Kulturgut» ein aus religiösen oder weltlichen Gründen für die Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft bedeutungsvolles Gut, das gewissen Unesco-Kategorien zugeordnet werden kann.
Der Schutz des kulturellen Erbes der Schweiz geschieht via Eintragung des bundeseigenen Kulturgutes von wesentlicher Bedeutung in ein Bundesverzeichnis mit der Rechtsfolge, dass diese verzeichneten Güter weder ersessen noch gutgläubig erworben werden können, der Herausgabeanspruch nicht verjährt und die definitive Ausfuhr aus der Schweiz verboten ist. Auch die Kantone können ein entsprechendes Verzeichnis führen; Kulturgüter von Privatpersonen dürfen aber nur mit deren Zustimmung in ein kantonales Verzeichnis eingetragen werden. Für den Schutz des ausländischen kulturellen Erbes kann der Bundesrat Vereinbarungen mit Vertragsstaaten der Unesco-Konvention 1970 schliessen, in denen das jeweilige kulturelle Erbe genau beschrieben wird. Sollten die in diesen Vereinbarungen verzeichneten Kulturgüter von wesentlicher Bedeutung illegal aus dem jeweiligen Vertragsstaat aus- und in die Schweiz eingeführt werden, so kann der ausländische Staat in der Schweiz auf Rückführung klagen. Um jedoch den bedeutenden (temporären) internationalen Leihverkehr für die Zukunft zu sichern, wurde das Institut der Rückgabegarantie geschaffen. Im weiteren beinhaltet das KGTG Sorgfaltspflichten für Museen und Kunsthandel im Umgang mit Kulturgütern sowie ZGB und OR-Bestimmungen, welche gegenüber der bisherigen Regelung den Schutz des Eigentümers verstärkt.