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Clinicum 4-17, Wann wird ein Arzt als Angestellter und wann als selbständiger Dienstleistungserbringer qualifiziert? Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Spital

Immer wieder ergehen in der Gerichtspraxis Entscheide, die eine Vertragsbeziehung zwischen zwei Parteien entgegen deren ursprünglichen Absicht als Arbeitsverhältnis qualifizieren. Auch in der Spitallandschaft sind in der Vergangenheit solche Entscheide gefällt worden. Vorliegender Beitrag zeigt auf, nach welchen Kriterien die Gerichte entscheiden, ob der Arzt am Spital eine selbstständige oder unselbstständige Tätigkeit ausführt.

Die ärztliche Tätigkeit in Spitälern kann verschiedenartig ausgestaltet sein. Beim privatrechtlichen Anstellungsvertrag zwischen Spitalarzt und Privatspital kommen die Bestimmungen über den Arbeitsvertrag gemäss Art. 319 ff. OR (Obligationenrecht) zur Anwendung. Bei einer Anstellung an einem öffentlichen Spital wird in der Regel ein öffentlich-rechtlicher Vertrag abgeschlossen, welcher sich nach dem jeweils anwendbaren Personalrecht richtet. Angestellte Ärzte sind im idealtypischen Fall in die Hierarchie des Spitals eingebettet und stellen ihre Arbeitsleistung gegen ein monatliches Entgelt zur Verfügung. Sowohl an den privatrechtlichen wie auch an den öffentlich rechtlichen Spitälern sind sodann auch Belegärzte tätig. Belegärzte sind im idealtypischen Fall frei praktizierende Ärzte mit eigener Praxis, welche aufgrund einer Vereinbarung mit dem Spital das Recht haben, ihre Patienten im Spital eigenverantwortlich, d.h. im eigenen Namen und auf eigene Rechnung, zu behandeln. Die Belegärzte schliessen hierzu in aller Regel mit den Spitälern einen Vertrag über die Infrastruktur- und Personalnutzung. Aus Sicht der Patienten kommt es diesfalls zu einem gespaltenen Vertragsverhältnis, indem die Pat ienten einerseits für Aufenthalt und Pflege sowie allfällige medizinische Zusatzleistungen einen Vertrag mit dem Spital abschliessen und andererseits einen Behandlungsvertrag mit dem zuständigen Belegarzt eingehen.

Von den beiden beschriebenen Mustertypen sind in der Praxis etliche Mischformen auszumachen, bei denen aus rechtlicher Sicht nicht immer klar ist, ob es sich beim Verhältnis zwischen Spital und Arzt um ein Anstellungsverhältnis handelt oder der Arzt als selbstständig erwerbender einzustufen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht zuletzt deshalb komplex, weil sie aus arbeitsrechtlicher, aus beitragsrechtlicher (Sozialversicherungen) und auch aus steuerrechtlicher Perspektive beantworten werden muss. Wie noch aufgezeigt wird, stimmen die Beurteilungskriterien für die eben genannten drei Rechtsbereiche in wesentlichen Punkten überein, dennoch kann es in Ausnahmefällen vorkommen, dass ein und derselbe Sachverhalt von der Steuerbehörde anders beurteilt wird als z.B. von der Ausgleichskasse. In der Praxis sind Fälle bekannt, in denen die privatärztliche Tätigkeit für ambulante Behandlungen eines leitenden Arztes an einem öffentlichen Spital beitragsrechtlich durch die Ausgleichkasse als selbstständige Tätigkeit eingestuft wurde, das Bundesgericht jedoch steuerrechtlich eine unselbstständige Tätigkeit feststellte (vgl. BGer 2P.98/2005 vom 27.09.2005).

Eine weitere Schwierigkeit bei der Beurteilung der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Spital stellt die Tatsache dar, dass jede Tätigkeit des Arztes für das Spital gesondert betrachtet werden muss. Es kann durchaus sein, dass der Arzt bezüglich einzelner Aufgaben mit dem Spital in einem Arbeitsverhältnis steht, andere Aufgaben jedoch als selbstständig Erwerbender ausführt. Beispielsweise befanden die Zürcher Gerichte, dass ein Chefarztvertrag zwischen einem privatrechtlichen Spital und einem Anästhesiearzt trotz Betitelung durch die Parteien als «Arbeitsvertrag» nicht als Arbeitsvertrag im Sinne des Obligationenrechts zu qualifizieren sei. Dies unter anderem deshalb, weil der Arzt gegenüber den Patienten selbstständig abrechnete und in Absprache mit seinen Kollegen aus dem Anästhesieteam seine Arbeitszeiten selbstständig einteilen konnte. Ein mit demselben Arzt abgeschlossener Pikettvertrag, gemäss welchem sich derselbe Arzt gegenüber dem Spital zur Erbringung von Pikettdienstleitungen ausserhalb der normalen Operationszeiten verpflichtete, wurde hingegen klarerweise als Arbeitsvertrag eingestuft. Die Tätigkeit des Arztes am Spital wurde daher teilweise als selbstständige, teilweise als unselbstständige Tätigkeit eingestuft (vgl. Obergericht Zürich, LA110026, Urteil vom 30.11.2011, bestätigt in BGer 4A.61/2012 vom 15.05.2012).

Je nach Ausgangslage kann eine falsche Beurteilung der Sachlage mit hohen finanziellen Folgen verbunden sein. Der Kanton Luzern etwa sah sich mit einer Beitragsforderung der Ausgleichskasse von über einer halben Million Franken konfrontiert, als er in den 90er Jahren sämtliche privatärztliche Tätigkeiten seiner Chef- und leitenden Ärzte fälschlicherweise als selbstständig erwerbende Tätigkeit einstufte und auf dem Entgelt der Ärzte keine Beiträge abführte (vgl. BGE 122 V 281).

Nachfolgend werden die wichtigsten Beurteilungskriterien der Rechtsprechung kurz erläutert. Vorausgeschickt sei, dass die Beurteilung immer aufgrund einer Würdigung der gesamten Umstände bezogen auf den Einzelfall stattzufinden hat. Oftmals werden Merkmale beider Erwerbsarten (selbstständig/unselbstständig) zutage treten. Die Beurteilung hat sich daher danach zu richten, welche Merkmale im konkreten Fall überwiegen.

Beurteilungskriterien nach Arbeitsrecht

Vom Auftrag unterscheidet sich der Arbeitsvertrag gemäss Bundesgericht in erster Linie durch das Merkmal der rechtlichen Subordination bzw. das Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Gemäss der Rechtsprechung kommt es wesentlich darauf an, ob die Person in die Organisation des Betriebs eingegliedert ist, ob Weisungen und Instruktionen den Gang und die Gestaltung der Arbeit durch den Verpfl ichteten unmittelbar beeinfl ussen und dem Berechtigten eine Kontrollbefugnis zusteht (BGer 4A_61/2012 vom 06.12.2012).

Beurteilungskriterien nach AHV-Beitragsstatut

Aus dem Blickwinkel des Beitragsrechts gilt als unselbstständig erwerbstätig, wer von einem Arbeitgeber in betriebswirtschaftlicher bzw. arbeitsorganisatorischer Hinsicht abhängig ist und kein spezifi sches Unternehmerrisiko trägt. Indizien dafür sind das Vorliegen eines bestimmten Arbeitsplans, die Notwendigkeit über den Stand der Arbeiten Bericht zu erstatten sowie das Angewiesensein auf Infrastruktur am Arbeitsort.

Charakteristische Merkmale für eine beitragsrechtliche selbstständige Tätigkeit hingegen sind die Tätigung erheblicher Investitionen, die Benützung eigener Geschäftsräumlichkeiten sowie die Beschäftigung von eigenem Personal (vgl. dazu BGE 122 V 281).

Beurteilungskriterien nach Steuerrecht

Ob eine Erwerbstätigkeit steuerrechtlich als selbstständig oder unselbständig zu qualifi zieren ist, hängt gemäss Bundesgericht primär vom persönlichen und wirtschaftlichen Freiraum ab. Eine selbstständige Erwerbstätigkeit beruht im Allgemeinen auf einer frei gewählten eigenen, erkennbaren Organisation und wird auf eigene Rechnung und Gefahr ausgeübt. Dagegen ist die unselbstständige Erwerbstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass Arbeit auf bestimmte oder unbestimmte Zeit gegen Lohn in Abhängigkeit von einem Arbeitgeber geleistet wird, an dessen Instruktionen der Arbeitnehmer gebunden ist. Ausschlaggebend ist, ob der Arzt ein unternehmerisches Risiko trägt, d.h. ob er eigene Organisationsmassnahmen trifft, eigenes Kapital einsetzt und das Inkassorisiko trägt (vgl. dazu BGer 2P.235/2003 vom 05.04.2004 m.w.H.).

Fazit / Checkliste

Gestützt auf die obigen Ausführungen ergibt sich folgender Fragenkatalog in Bezug auf die Beurteilung, ob zwischen einem Arzt und einem Spital ein Anstellungsverhältnis vorliegt:

– Tätigt der Arzt wesentliche eigene Investitionen?

– Beschäftigt der Arzt eigenes Personal oder beteiligt er sich an den Personalkosten, für Personal, welches ihm vom Spital zur Verfügung gestellt wird? – Verfügt der Arzt über eigene Räumlichkeiten für Sprechstunden?

– Hat der Arzt dem Spital eine Entschädigung für die Infrastrukturnutzung zu bezahlen?

– Trägt der Arzt das Inkasso- und Delkredererisiko?

– Tritt der Arzt gegenüber dem Patienten direkt als Vertragspartner auf?

– Kann der Arzt seine Arbeitszeiten selbstständig einteilen?

– Trifft den Arzt keine ärztliche Behandlungspflicht?

– Kann der Arzt selbstständig wichtige arbeitsorganisatorische Entscheidungen treffen?

Dieser Fragenkatalog erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Lassen sich die Fragen jedoch grossmehrheitlich mit «ja» beantworten, so ist dies ein starkes Indiz dafür, dass eine selbstständige Tätigkeit des Arztes sowohl aus arbeitsrechtlicher, aus beitragsrechtlicher als auch aus steuerrechtlicher Perspektive vorliegt und dieser folglich nicht in einem Arbeitsverhältnis mit dem Spital steht sondern als selbstständig erwerbender Dienstleistungserbringer auftritt. Ist die Sachlage nicht eindeutig, empfiehlt sich der Beizug eines Spezialisten.

Weitere Informationen

Kaufmann Rüedi Rechtswanwälte AG

Alpenquai 28A

6005 Luzern

Telefon 041 417 10 70

www.krlaw.ch

Autor

Hubert Rüedi

Rechtsanwalt, Notar, Partner

hubert.rueedi@krlaw.ch

Beitrag veröffentlicht am
31. Oktober 2017

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